Der häusliche Herd
sie
kamen:
Ich stehe zu Diensten. Sobald es Ihnen beliebt! …
Gut, Sie sollen von mir hören! …
Mit einem Sprung hatte sie die Dienstbotentreppe erreicht.
Allein als sie im zweiten Stockwerke vor ihrer Küche angelangt war,
fand sie diese verschlossen; den Schlüssel hatte sie oben in der
Tasche ihres Schlafrockes vergessen. Überdies war keine Lampe,
nicht der geringste Lichtstreif unter der Tür zu sehen. Ohne
Zweifel hatte die Magd sie verraten. Unverweilt lief sie zurück und
kam wieder an dem Zimmer Octaves vorbei, wo noch immer der heftige
Streit der beiden Männer zu hören war.
Sie stieg rasch die Haupttreppe hinab in der Hoffnung, daß
August vielleicht die Tür der Wohnung offen gelassen habe. Sie
dachte, sich in ihrem Zimmer einzuschließen und niemanden
einzulassen. Doch auch hier stieß sie auf eine verschlossene Tür.
Verjagt aus ihrer Behausung, unbekleidet wie sie war, verlor sie
vollends den Kopf; sie rannte treppauf, treppab, wie ein gehetztes
Wild, das nicht weiß, wo es sich bergen soll. Niemals werde sie es
wagen, an der Türe ihrer Eltern zu pochen. Einen Augenblick hatte
sie den Gedanken, sich zu den Hausmeistersleuten zu flüchten, doch
die Scham trieb sie zurück. Sie horchte über das Treppengeländer
hinab; die Schläge ihres Herzens raubten ihr das Gehör in dieser
tiefen Stille; ihre Augen waren geblendet von leuchtenden Flammen,
die aus der tiefen Finsternis heraufzuschlagen schienen. Sie
fürchtete immer das Messer in der Faust ihres Gatten, dessen Spitze
ihr in den Leib dringen könne. Da entstand
plötzlich ein Geräusch; sie bildete sich ein,
daß
er
komme und fühlte ein tödliches Frösteln
bis in das innerste Mark der Gebeine. Weil sie sieh eben vor der
Türe der Campardons befand, begann sie zu läuten, verzweifelt zu
läuten, daß schier die Glocke riß.
Mein Gott, ist Feuer ausgebrochen? rief innen eine erschrockene
Stimme.
Die Türe ward sogleich geöffnet. Es war Lisa, die, auf den
Fußzehen schleichend, einen Leuchter in der Hand, jetzt erst Angela
verließ. Als so wütend an der Glocke gerissen wurde, befand sie
sich eben im Vorzimmer. Beim Anblicke Bertas, die im Hemde vor ihr
stand, war sie erstarrt.
Was geht vor? fragte sie.
Die junge Frau war hastig eingetreten und hatte die Türe hinter
sich zugezogen. Dann stammelte sie fast atemlos, an die Wand
gelehnt:
Still! … Er will mich töten.
Lisa konnte keine vernünftige Aufklärung von ihr erhalten; da
erschien Campardon beunruhigt. Der unbegreifliche Lärm hatte ihn
und Gasparine aus ihrem engen Bette getrieben. Er hatte in der Eile
nur eine Unterhose angezogen; sein dickes Gesicht war gerötet und
in Schweiß gebadet; der gelbe Bart zerdrückt und voll weißer
Flaumen. Er war ganz atemlos und suchte sich das Aussehen eines
Ehegatten zu geben, der allein schläft.
Sind Sie es, Lisa? rief er im Salon. Was machen Sie denn noch
da?
Ich war nicht sicher, ob ich die Türe geschlossen hätte, und
mich zu beruhigen, kam ich herab und habe noch einmal nachgesehen.
Und da kam Frau …
Als der Architekt Berta im Hemde an die Wand seines Vorzimmers
gelehnt sah, war er höchlich befremdet. Berta vergaß, daß sie nackt
sei, und wiederholte:
Ach, mein Herr! Verbergen Sie mich hier! Er
will mich töten! …
Wer denn? fragte er.
Mein Mann.
Hinter dem Architekten tauchte jetzt die Kusine auf. Sie hatte
sich die Zeit genommen, ein Kleid umzuwerfen; mit ungeordnetem
Haar, auch sie voll Flaumen, mit platter, hängender Brust, die
Knochen schier das Kleid durchstoßend, so war sie erschienen. Der
Anblick der nackten Berta mit ihren zarten, vollen Formen
erbitterte sie, und sie fragte die junge Frau:
Was haben Sie denn Ihrem Manne getan?
Bei dieser einfachen Frage geriet Berta in die tiefste Scham und
Verwirrung. Sie sah sich nackt, und ein Blutstrom rötete sie vom
Kopf bis zu den Füßen. In diesem langen Beben der Scham kreuzte sie
die Arme über die Brust und stammelte:
Er hat mich gefunden … Er hat mich überrascht …
Die beiden anderen begriffen und tauschten einen Blick der
Entrüstung aus. Lisa, die mit ihrer Kerze diese Szene beleuchtete,
glaubte die Entrüstung ihrer Herrenleute teilen zu sollen. Die
Erklärung mußte übrigens unterbrochen werden, denn auch Angela war
herbeigeeilt. Sie tat, als sei sie soeben erwacht und rieb sieh die
schlaftrunkenen Augen. Bei dem Anblick der Dame im Hemde blieb sie
plötzlich stehen, und ihr zarter, schmächtiger Körper eines
frühreifen Mädchens
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