Der häusliche Herd
durch dieses Haus geweht. Sie fühlte
sich gleichsam wie einen Skandal gegen diese Mauern, zog ihr Hemd
enger zu, verbarg ihre nackten Füße in der Furcht, das Gespenst des
sittenstrengen Herrn Gourd auftauchen zu sehen.
Plötzlich vernahm sie ein Geräusch. Entsetzt fuhr sie in die
Höhe und war im Begriff, mit beiden Fäusten an die Türe ihrer
Eltern zu pochen, als ein Ruf sie zurückhielt.
Eine Stimme, leicht wie ein Hauch, rief:
Gnädige Frau! … Gnädige Frau! …
Sie schaute hinab, sah aber nichts.
Gnädige Frau! … Gnädige Frau! … Ich bin's!
Es war Marie, gleichfalls im Hemde. Sie hatte die Szene gehört,
war aus ihrem Bett geschlüpft, ohne Julius zu wecken und hatte in
ihrem kleinen, dunklen Speisezimmer gehorcht, was vorgehe.
Kommen Sie zu mir … Sie sind im Unglück … Ich bin
Ihnen eine Freundin …
Sie besänftigte sie allmählich und erzählte ihr, was sich weiter
zugetragen. Die beiden Männer hätten einander nichts Arges
zugefügt. Octave hatte unter Flüchen seinen Kasten vor die Türe
geschoben, um sich einzuschließen; ihr Gatte hingegen sei wieder
hinuntergegangen, mit einem Paket in der Hand, das die Sachen
enthielt, die sie im Zimmer zurückgelassen: Schlafrock, Schuhe und
Strümpfe. Das sei nun vorbei und nicht zu ändern. Man müsse am
nächsten Morgen alles aufbieten, um ein Duell zwischen ihnen zu
verhindern.
Berta stand unentschlossen auf der Schwelle; ein Rest von Furcht
und Scham hielt sie ab, in diesem Zustande das Haus einer Dame zu betreten, mit der sie sonst keinen
Umgang gepflogen hatte. Marie mußte sie bei der Hand nehmen.
Sie werden auf diesem Sofa schlafen; ich werde Ihnen einen Schal
leihen. Morgen früh werde ich zu Ihrer Mutter gehen … Mein
Gott, welches Unglück! Man ist so unvorsichtig, wenn man sich
liebt! …
Ach, wir hatten gar wenig Vergnügen davon! sagte Berta mit einem
Seufzer, in welchem die ganze blöde und grausame Leere dieser Nacht
sich Luft machte. Er hat recht zu fluchen; wenn es ihm so geht wie
mir, muß er die Geschichte satt haben bis über den Kopf.
Sie waren im Begriff, von Octave zu sprechen; doch sie schwiegen
und sanken einander schluchzend in die Arme. Ihre nackten Glieder
umschlangen sich in einer krampfhaften Umarmung. Ihre vom
Schluchzen geschwellten Brüste drückten sich unter den Hemden
platt. Es war bei ihnen die äußerste Ermattung, eine unermeßliche
Traurigkeit, das Ende von allem. Sie sprachen kein Wort, aber ihre
Tränen flössen endlos inmitten der tiefen Stille dieses dunklen,
sittsamen Hauses.
Kapitel 15
Höchst würdevoll spießbürgerlich war das Erwachen des Hauses am
folgenden Morgen. Es war keine Spur des nächtlichen Skandals weder
auf der Treppe zurückgeblieben noch an den Wänden von falschem
Marmor, die das Bild der im Hemde durch die Stockwerke jagenden
Frau widergespiegelt hatten. Herr Gourd war gegen sieben Uhr
hinaufgegangen, um ein wenig Umschau zu halten, wie das seine
Gewohnheit war; wohl witterte er, daß etwas in der Luft liege, doch – was ihn nichts anging, das ging ihn
nichts an; und als er, wieder hinabsteigend, im Hofe zwei Mägde
sah, Lisa und Julie, die sicherlich von dem Geschehenen sprachen,
das sie sehr zu erheitern schien, sah er sie mit einem so strengen
Blicke an, daß sie sich sofort trennten.
Hernach ging er auf die Straße hinaus, um zu sehen, ob diese
ruhig sei. Die Straße war ruhig, indes schienen die Mägde doch
geplaudert zu haben, denn verschiedene Nachbarinnen blieben stehen,
die Krämer der Umgebung traten auf die Schwelle ihrer Läden; man
schaute mit spähenden Blicken zu den Stockwerken hinauf mit den
bestürzten Mienen, mit denen man ein Haus betrachtet, wo ein
Verbrechen sich ereignet hat. Im übrigen gingen die Leute an der
prächtigen Vorderseite des Hauses schweigend und höflich
vorüber.
Um halb acht Uhr erschien Frau Juzeur im Schlafrock, um Luise zu
überwachen, wie sie sagte. Ihre Augen leuchteten, ihre Hände waren
fieberheiß. Sie hielt Marie auf, die ihre Milch holte und wollte
sie zum Plaudern bringen; doch konnte sie von ihr nichts erfahren,
nicht einmal soviel, wie die schuldige Tochter von ihrer Mutter
aufgenommen worden sei. Dann ging sie zu den Hausmeistersleuten
hinab und wartete daselbst eine Weile unter dem Vorwande, den
Postboten abwarten zu wollen. Endlich fragte sie, weshalb Herr
Octave noch nicht herabgekommen, und ob er vielleicht krank sei?
Der Hausmeister erwiderte, daß er es nicht wisse, daß übrigens Herr
Octave
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