Der häusliche Herd
erbebte.
Oh! rief sie bloß.
Es ist nichts, geh' schlafen, sagte ihr Vater.
Als er sah, daß er ihr irgendeine Geschichte vormachen müsse,
erzählte er die erstbeste, die ihm einfiel. Aber sie war gar zu
albern.
Gnädige Frau hat sich auf der Treppe den Fuß
verstaucht und ist zu uns hereingekommen,
damit wir ihr beistehen … Geh' schlafen; du wirst dich
erkälten.
Lisa mußte ein Lachen unterdrücken, als sie die weit offenen
Augen Angelas sah, die in ihr Bett sehr vergnügt zurückkehrte, weil
sie das gesehen hatte. Seit einer Minute hörte man Frau Campardon
aus ihrem Zimmer rufen. Sie hatte ihre Lampe noch nicht
ausgelöscht, so sehr interessierte sie der Dickens, und sie wollte
wissen, was es gebe, wer da sei, weshalb man sie nicht
benachrichtige?
Kommen Sie, gnädige Frau, sagte der Architekt zu Berta. Sie
bleiben einen Augenblick hier, Lisa.
Rosa lag noch breit und bequem in ihrem großen Bett. Da thronte
sie mit ihrem königlichen Luxus, mit ihrer Ruhe eines Götzenbildes.
Sie war sehr gerührt durch ihre Lektüre; sie hatte sich den Dickens
auf die Brust gelegt, und das Buch ward durch die Wallungen ihres
Busens sanft gehoben. Als die Kusine sie in aller Kürze
unterrichtete, war auch sie empört. Wie konnte man mit einem andern
Mann gehen als mit dem eigenen Gatten? Und ein Ekel erfaßte sie vor
der Sache, der sie entwöhnt war.
Doch jetzt verloren sich die Blicke des Architekten auf die
Gestalt der jungen Frau, was wieder Gasparine erröten machte.
Das ist unmöglich! rief sie entrüstet aus; verhüllen Sie sich;
das ist wahrhaftig eine unmögliche Lage.
Damit warf sie ihr ein großes, gewirktes Tuch von Rosa, das auf
einem Möbelstück lag, über die Schultern.
Berta zitterte noch immer. Obgleich sie in Sicherheit war,
wandte sie sich dennoch angsterfüllt zur Türe. Ihre Augen hatten
sich mit Tränen gefüllt; sie flehte die Dame an, die so ruhig, so
behaglich dalag.
Ach, gnädige Frau, behalten Sie mich hier! Retten Sie
mich! … Er will mich töten! …
Es entstand ein verlegenes Stillschweigen.
Alle drei befragten einander mit den Blicken, ohne ihre
Mißbilligung eines so strafbaren Betragens zu verbergen. Es sei
auch ganz und gar nicht zu rechtfertigen, dachten sie sich, daß man
die Leute nach Mitternacht so im bloßen Hemde aufstöbere. Es ist
taktlos, andere Leute so in Verlegenheit zu bringen.
Wir haben ein junges Mädchen im Hause, sagte Gasparine endlich.
Bedenken Sie unsere Verantwortlichkeit.
Sie werden bei Ihren Eltern besser aufgehoben sein, sagte der
Architekt … Wenn ich Sie dahin führen soll …
Berta ward wieder vom Sehreck ergriffen.
Nein, nein! Er ist auf der Treppe und würde mich töten.
Sie flehte nochmals, man möge sie beherbergen; sie werde auf
einem Sessel die Nacht zubringen und sich am Morgen ganz sachte
entfernen. Der Architekt und seine Gattin waren nahe daran
nachzugeben; er, weil ihn die Reize der jungen Frau weicher
stimmten; sie, weil dieses nächtliche Ereignis sie interessierte.
Doch Gasparine war unerbittlich. Sie war indes neugierig und fragte
schließlich:
Wo waren Sie denn?
Da oben in dem Zimmer; im Hintergrunde des Ganges. Sie
wissen …
Campardon erhob die Arme und rief:
Wie, mit Octave? Unmöglich!
Mit Octave, diesem Rohrspatz, ein so hübsches, dickes Weibchen!
Das verdroß ihn sehr. Auch Rosa war jetzt verdrossen und ernster
gestimmt. Gasparine ihrerseits war außer sich, verzehrt von ihrem
instinktiven Haß gegen den jungen Mann. Wieder er! Sie wußte wohl,
daß er sie alle besitze, aber sie werde die Dummheit nicht so weit
treiben, sie ihm noch warm zu halten.
Versetzen Sie sich doch in unsere Lage,
sagte sie mit Härte. Ich wiederhole Ihnen, daß wir ein junges
Mädchen im Hause haben.
Dann, fügte Campardon hinzu, müssen wir auf das Haus, auf Ihren
Gemahl Rücksicht nehmen, mit dem ich stets die besten Beziehungen
unterhalten habe … Er wäre mit Recht erstaunt über einen
solchen Schritt von meiner Seite. Wir können doch nicht etwas tun,
Gnädigste, was gleichbedeutend wäre mit der Gutheißung Ihres
Betragens! Ich erlaube mir kein Urteil über dieses Betragen, aber,
gelinde gesprochen, ist es ziemlich leichtfertig.
Gewiß: wir wollen nicht den ersten Stein auf Sie werfen, fügte
Rosa hinzu; aber die Welt ist so schlecht. Man würde sagen, daß Sie
bei uns Ihre Zusammenkünfte gehabt haben. Und Sie wissen, mein Mann
arbeitet für sehr sittenstrenge Leute. Bei dem geringsten Schatten,
der auf seine Moralität
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