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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Daseins vergraben zu sein
schienen.
    Ich muß an einem dieser Tage wieder in die Kirche zu Sankt
Rochus gehen; geben wir eine unserer Lebensgewohnheiten auf, so
entsteht alsbald eine Lücke in unserem Dasein.
    In diesem Gesichte einer spät zur Welt gekommenen, von allzu
betagten Eltern erzeugten Tochter drückte das krankhafte Bedauern
eines andern Daseins in einem gedachten Lande sich aus, – eines
Daseins, das sie ohne Zweifel geträumt hatte. Sie konnte nichts
verheimlichen; alles stieg ihr ins Gesicht unter dieser feinen
Haut, die so durchsichtig war wie die einer Bleichsüchtigen. Dann
hatte sie eine Anwandlung der Rührung, und mit einer vertraulichen
Gebärde Octaves Hände erfassend, sagte sie:
    Wie danke ich Ihnen für dieses Buch! … Kommen Sie morgen
nach dem Frühstück wieder; ich will es Ihnen zurückgeben und Ihnen
sagen, welche Wirkung es auf mich gemacht hat … Das wird
lustig sein, nicht wahr?
    Im Fortgehen dachte Octave, daß sie im ganzen doch ein drolliges
Weibchen sei. Sie interessierte ihn schließlich: er faßte den
Vorsatz, mit Pichon zu reden, daß er seine Schlaffheit doch
abstreife und die kleine Frau ein wenig aufrüttle; denn sie
brauchte nur aufgerüttelt zu werden, das war klar.
    Am folgenden Tage begegnete er dem Beamten, eben als dieser sich
auszugehen anschickte; er begleitete ihn auf die Gefahr hin, eine
Viertelstunde später als sonst in sein Geschäft »Zum Paradies der
Damen« zu kommen. Doch er fand Pichon noch weniger aufgeweckt als
seine Frau; er war voller Sonderlichkeiten und schien keine größere
Sorge zu haben, als die, daß er sich bei Regenwetter die
Schuhe im Straßenkote nicht beschmutze. Er
ging auf den Fußspitzen und sprach unaufhörlich von seinem
Unterchef.
    Octave, den in dieser ganzen Sache nur brüderliche Gefühle
leiteten, verließ ihn endlich in der Honoriusstraße, nachdem er ihm
noch eindringlich empfohlen hatte, Marie recht oft ins Theater zu
führen.
    Wozu denn? fragte Pichon betroffen.
    Weil es gut ist für die Frauen, es macht sie liebenswürdig.
    Ach, Sie glauben …
    Er versprach darüber nachzudenken; dann ging er quer über die
Straße in steter Angst, durch eine Droschke mit Schmutz bespritzt
zu werden.
    Am folgenden Tage klopfte um die Frühstückszeit Octave bei den
Pichons an, um das Buch wieder in Empfang zu nehmen. Marie las, die
Ellbogen auf den Tisch gestützt, beide Hände in den ungekämmten
Haaren vergraben. Sie hatte soeben ein Ei in einer kleinen
Blechpfanne verzehrt, die noch auf dem kahlen Tische stand inmitten
des Durcheinanders eines in aller Hast gedeckten Frühstückstisches.
Am Boden schlief Lilitte unbeachtet auf den Scherben eines Tellers,
den sie ohne Zweifel zerbrochen hatte.
    Nun? fragte Octave.
    Marie antwortete nicht sogleich. Sie trug noch ihren
Morgenschlafrock, an dem einige Knöpfe fehlten, so daß ihr Hals zu
sehen war; sie befand sich überhaupt noch völlig in der Unordnung
einer Frau, die eben das Bett verlassen hat.
    Ich habe kaum hundert Seiten gelesen, sprach sie endlich; meine
Eltern waren gestern hier.
    Sie sprach in mißmutigem Tone, verbittert. Als sie noch jung
war, hatte sie den Wunsch, in der Tiefe der Wälder zu wohnen. Sie
träumte immer davon, einem Jäger zu begegnen, der sein Horn bläst.
Der Jäger nähert sich und läßt sich vor
ihr auf die Knie nieder. All dies geschieht in einem Dickicht,
weit, weit, wo die Rosen blühen wie in einem Parke. Dann vermählten
sie sich plötzlich und verbrachten ihr Leben unter ewigen
Spaziergängen. Sie war sehr glücklich und hatte keine anderen
Wünsche. Er war von der Zärtlichkeit und Ergebenheit eines Sklaven,
sein Platz war stets zu ihren Füßen.
    Ich habe heute mit Ihrem Gatten gesprochen, sagte Octave, Sie
gehen nicht oft genug aus, und ich habe ihn bestimmt, Sie ins
Theater zu führen.
    Doch sie schüttelte den Kopf, und ein Frösteln ging durch ihren
Leib. Es entstand ein Schweigen. Sie fand sich wieder in ihrem
engen Speisezimmer mit seiner nüchternen, frostigen Tageshelle. Das
Bild ihres mürrischen, allezeit ordentlichen Gatten warf plötzlich
seinen Schatten auf den Jäger ihrer Lieder, dessen ferne
Hörnerklänge stets in ihren Ohren tönten. Zuweilen horchte sie auf:
vielleicht kommt er gar. Ihr Gatte hatte niemals ihre Füße in seine
Hände genommen, um sie zu küssen. Niemals hatte er sich vor ihr auf
die Knie niedergelassen, um ihr zu sagen, daß er sie anbete. Und
dennoch liebte sie ihn; nur war sie verwundert darüber, daß in

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