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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wollte sie fassen mit einer schroffen
Gebärde, als habe er es mit einer Dirne zu tun.
    Nun, was ist's? sagte sie höchlich überrascht.
    Sie schaute ihn an; der Ausdruck ihrer Augen war so kühl, ihr
Leib so ruhig, daß er sich wie eisig angehaucht fühlte und das
Lächerliche seiner Gebärde begreifend, seine Arme sinken ließ.
    Nach einem letzten nervösen Gähnen, das sie zu unterdrücken
suchte, fügte sie langsam hinzu:
    Ach, mein lieber Herr! wenn Sie wüßten! …
    Sie zuckte die Achseln, ohne böse zu sein, gleichsam
niedergedrückt von der Wucht ihrer Geringschätzung gegen den Mann.
Octave dachte, sie wolle ihn endlich hinauswerfen lassen, als er
sah, wie sie ihre Schritte auf die Glockenschnur zu lenkte, wobei
sie ihre nur lose gebundenen Röcke nachschleppte. Allein sie
verlangte einfach Tee, sehr leichten und sehr heißen Tee. Da verlor
er vollends die Fassung, stammelte eine Entschuldigung und
entfernte sich, während sie sich von neuem in ihrem Sessel
ausstreckte mit der frostigen Miene einer Frau, die vor allem
schlafen will.
    Auf der Treppe blieb Octave in jedem Stockwerke stehen. Sie
liebte es also nicht. Er fand sie gleichgültig, keineswegs von
Begierden verzehrt, vielmehr ebensowenig zugänglich wie seine
Gebieterin Frau Hédouin. Warum sagte Campardon, daß sie hysterisch
sei? Es war sehr ungeschickt von ihm, ihn so »aufsitzen« zu lassen;
ohne diese Lüge des Architekten hätte er
sich nie dieses Abenteuer an den Hals gezogen. Er war gänzlich
verwirrt und dachte an die Geschichten, die über diese Frau und
ihren Gatten in Umlauf waren. Er erinnerte sich der Bemerkung
Trublots: bei diesen aus dem Geleise geratenen Frauen, deren Augen
so leuchten wie die glühenden Kohlen, weiß man niemals, woran man
ist …
    Im vierten Stockwerk angelangt, dämpfte Octave seine Schritte;
er war aufgebracht über die Weiber. Da öffnete sich die Tür der
Pichons, und er mußte eintreten. Marie erwartete ihn; sie stand in
dem von der glimmenden Lampe nur schwach erleuchteten Zimmer; sie
hatte die Wiege zum Tische gezogen; Lilitte schlief in dem matten
Lichtkreise der Lampe. Offenbar war das zum Frühstück benützte
Gedeck auch beim Mittagbrot verwendet worden, denn das geschlossene
Buch lag neben einem schmutzigen Teller, auf dem noch die Reste von
Radieschen zu sehen waren.
    Sie haben das Buch zu Ende gelesen? fragte Octave, erstaunt über
das Stillschweigen der jungen Frau.
    Sie schien betäubt, das Gesicht aufgedunsen wie nach einem allzu
langen Schlaf.
    Ja, ja, sagte sie mit einiger Anstrengung. Ich habe mich den
ganzen Tag über in dieses Buch versenkt… Wenn das Interesse uns
packt, weiß man ja nicht mehr, wo man ist … Oh, der Nacken tut
mir weh …
    Sie saß in gebeugter Stellung da und sprach nicht mehr von dem
Buche; sie war so tief erregt, so voll der verworrenen Träumereien
der Lektüre, daß sie schier erstickte. Ihre Ohren summten, sie
vernahm den fernen Hörnerschall der Jäger ihrer Lieder in dem
blauenden Hintergrunde ihrer geträumten Zärtlichkeiten. Dann
erzählte sie ohne jeden Übergang, daß sie am Morgen in der
Rochus-Kirche gewesen; sie habe viel geweint; die Religion ersetze
alles.
    Jetzt fühle ich mich schon besser, sagte
sie, tief aufseufzend und vor Octave stehen bleibend.
    Es entstand ein Stillschweigen. Ihre keuschen Augen lächelten
ihm zu. Mit ihren dünnen Haaren und verschwommenen Zügen hatte er
sie nie so unbedeutend gefunden wie jetzt. Allein als sie fortfuhr,
ihn zu betrachten, ward sie sehr bleich und wankte; er mußte die
Arme ausstrecken, um sie zu stützen.
    Mein Gott, mein Gott! stammelte sie schluchzend.
    Er hielt sie ganz verwirrt in seinen Armen.
    Sie sollten etwas Lindenblütentee nehmen; Sie haben allzu lange
gelesen, und das hat Ihnen geschadet.
    Ja, als ich das Buch zu Ende gelesen hatte und mich allein sah,
war mir so schwer ums Herz … Wie gut sind Sie, Herr Mouret!
Ohne Sie wäre ich gefallen und hätte mich beschädigt.
    Mittlerweile blickte er sich nach einem Sessel um, sie darauf zu
setzen.
    Soll ich Feuer machen? fragte er.
    Ich danke, Sie würden sich dabei beschmutzen … Ich habe
bemerkt, daß sie immer Handschuhe tragen.
    Indem sie bei dieser Erinnerung von neuem in die tiefste
Verwirrung geriet, hauchte sie in einem Augenblicke äußerster
Schwäche und Unbesonnenheit – gleichsam im Traume des Romans –
einen Kuß in die Luft, der das Ohr des jungen Mannes streifte.
    Octave war höchlich betroffen. Die Lippen der jungen Frau

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