Der häusliche Herd
waren
eisig kalt. Als ihre Kräfte vollends schwanden und sie vernichtet
an seine Brust sank, erwachte plötzlich das Verlangen in ihm, und
er wollte sie in den Hintergrund des Zimmers tragen. Allein diese
kühne Annäherung erweckte Marie aus der Bewußtlosigkeit ihres
Falles; der Instinkt der angegriffenen Frau empörte sich in ihr,
und sie rief nach ihrer Mutter, ihres
Mannes vergessend, der bald heimkehren mußte, ihres Kindes, das in
der Nähe schlief.
Nicht das! … Ach nein, ach nein! Das ist verboten!…
Er aber entgegnete in höchster Leidenschaft entbrannt:
Man soll es nicht erfahren; ich will es niemandem sagen.
Nein, Herr Octave! Sie vernichten das Glück, das mir das
Zusammentreffen mit Ihnen verursacht hat. Das ist es ja nicht, was
wir wollen … Ich hatte so schöne Dinge geträumt …
Er sprach nichts weiter; er hatte Vergeltung zu üben für die
andere und sagte sich im stillen rundheraus: »Ah, du mußt dran!« Da
sie sich weigerte, in das Zimmer zu kommen, legte er sie
rücksichtslos auf den Tisch hin. Und sie unterwarf sich; er nahm
Besitz von ihr zwischen dem Teller, den sie auf dem Tische
vergessen hatte und dem Buche, das auf die Erde geworfen
ward …
Die Türe war nicht geschlossen worden; draußen lag die Treppe in
ihrer einschläfernden Stille da; Lilitte schlummerte ruhig.
Als Marie und Octave mit ungeordneten Kleidern sich wieder
erhoben, fanden sie einander nichts zu sagen. Sie betrachtete
mechanisch ihr Kind, nahm den Teller vom Tisch und stellte ihn
wieder hin. Auch er war stumm und fühlte ein Unbehagen nach diesem
unerwarteten Abenteuer. Er erinnerte sich, daß er in brüderlicher
Weise den Vorsatz gefaßt hatte, diese Frau ihrem Gatten in die Arme
zu treiben.
Da er das Bedürfnis fühlte, dieses unerträgliche Stillschweigen
endlich zu brechen, flüsterte er:
Sie haben also die Türe nicht geschlossen?
Sie warf einen Blick auf den Gang und stammelte:
Es ist wahr! Die Türe war offen geblieben!
Ihr Gang war schwerfällig, und auf ihrem Antlitz drückte sich
das Unbehagen aus. Der junge Mann dachte jetzt, daß es kein besonderes Vergnügen sei mit einer Frau,
die sich in dieser stillen Einsamkeit ergibt, ohne sich auch nur zu
wehren. Sie konnte nicht einmal einen Genuß haben.
Schau, das Buch ist zur Erde gefallen, sagte sie, den Band
aufhebend.
Eine Ecke des Einbandes war infolge des Falles eingebogen. Das
brachte sie wieder einander näher und gab einen Gesprächsstoff.
Marie war untröstlich über den Unfall mit dem Buche.
Es ist nicht meine Schuld, sagte sie. Sie sehen, ich habe es in
Papier eingewickelt, aus Furcht, es zu beschmutzen. Wir haben es
hinabgestoßen, ohne es zu wollen.
War das Buch da? fragte Octave. Ich habe es gar nicht bemerkt.
Ich mache mir nicht viel daraus, aber Campardon ist gar so »heikel«
mit seinen Büchern.
Nun reichten sie einander das Buch und suchten die verbogene
Ecke wieder gerade zu richten. Dabei vermengten sich ihre Finger,
und das ging jetzt schon ohne Aufregung. An die Folgen denkend,
waren sie wahrhaft erschrocken über den Unfall, der diesem schönen
Band von George Sand zugestoßen war.
Das mußte schlimm ablaufen, schloß Marie mit Tränen in den
Augen.
Octave fühlte sich verpflichtet, sie zu trösten. Er werde
irgendeine Ausrede ersinnen, sagte er, und Campardon ihn doch nicht
fressen. Im Augenblicke der Trennung gerieten sie wieder in
Verlegenheit. Sie hätten einander gern ein angenehmes Wort gesagt,
allein das trauliche »Du« wollte ihnen nicht aus der Kehle. Da
wurden sie durch den Schall eines Trittes aus der Verlegenheit
gerissen. Es war der heimkehrende Gatte. Octave nahm sie
stillschweigend in die Arme und küßte sie auf den Mund. Sie ließ es
willig geschehen; ihre Lippen waren eisig kalt wie vorhin. Als er geräuschlos in seinem Zimmer den
Überzieher ablegte, sagte er sich, daß auch diese Frau »es« nicht
zu lieben scheine. Was will sie denn? Warum sinkt sie den Leuten in
die Arme? Wahrhaftig, die Frauen sind sehr sonderbar! …
Am folgenden Tage erklärte während des Frühstücks bei den
Campardons Octave eben zum zwanzigsten Male, wie ungeschickt er
war, daß er das Buch habe fallen lassen, als Marie eintrat. Sie
führte Lilitte in den Tuileriengarten und fragte, ob man ihr Angela
anvertrauen wolle. Sie lächelte ohne jede Verlegenheit Octave einen
Gruß zu und betrachtete mit ihren klaren Augen und ihrer
unschuldigen Miene das Buch, das auf einem Sessel lag.
Warum nicht? rief Madame
Weitere Kostenlose Bücher