Der häusliche Herd
in sehr
schönem Einbande; und trotz der Besorgnisse ihrer Mutter habe ich
mich entschlossen, ihr einige Monate vor ihrer Verheiratung zu
gestatten, daß sie »
André
« lese, ein ungefährliches
Buch voll Phantasie, das die Seele erhebt … Ich bin für eine
freisinnige Erziehung. Die Literatur hat ihre Berechtigung… Diese
Lektüre hat eine außerordentliche Wirkung
bei ihr hervorgebracht, mein Herr. Sie weinte des Nachts im
Schlafe, was beweist, daß nur eine reine Einbildungskraft das Genie
wahrhaft begreifen kann.
Es ist so schön! murmelte die junge Frau mit funkelnden
Augen.
Pichon sagte: Vor der Ehe gar keinen Roman, nach der Ehe alle
Romane. Daraufhin bemerkte Frau Vuillaume kopfschüttelnd, daß sie
keine Romane gelesen habe und sich dennoch wohlbefinde.
Nun sprach Marie in sanftem Tone von ihrer Einsamkeit.
Mein Gott, ich nehme zuweilen ein Buch zur Hand. Übrigens wählt
Julius selbst im Lesekabinett in der Choiseul-Straße die Bücher für
mich aus … Wenn ich noch Klavier spielen könnte! …
Da glaubte endlich auch Octave etwas vorbringen zu sollen.
Wie, Gnädige? rief er; Sie spielen nicht Klavier?
Es entstand eine verlegene Pause. Die Eltern sprachen von
verschiedenen ungünstigen Umständen; sie wollten nicht eingestehen,
daß sie die Kosten scheuten. Die Mutter versicherte übrigens, daß
Marie schon vermöge ihrer natürlichen Begabung richtig zu singen
verstehe; als junges Mädchen wußte sie allerlei hübsche Romanzen zu
singen; es genügte ihr, eine Weise einmal zu hören, und sie behielt
sie im Gedächtnisse. Insbesondere ein spanisches Lied, die
Geschichte einer Gefangenen, die ihren Geliebten beklagt; dieses
Lied sang sie mit so vielem Ausdruck, daß den Zuhörern, und wären
diese noch so sehr verstockt gewesen, Tränen der Rührung erpreßt
wurden.
Doch Marie war trostlos und, die Hand nach dem anstoßenden
Zimmer ausstreckend, wo ihr Töchterchen schlief, rief sie:Ich schwöre, daß Lilitte Klavier spielen wird und wenn
ich die schwersten Opfer bringen müßte.
Trachte vor allem, sie so zu erziehen, wie wir dich erzogen
haben, sagte Madame Vuillaume. Ich will gewiß nichts gegen die
Musik gesagt haben; sie veredelt das Gemüt. Vor allem wache über
deine Tochter, halte die böse Luft von ihr fern; trachte, daß sie
ihre Unwissenheit bewahre …
Sie kam wieder auf ihr Thema zurück: sie legte jetzt mehr
Nachdruck auf die Religion, regelte die Anzahl der Beichten nach
Monaten und bezeichnete jene Messen, die man anstandshalber
unbedingt besuchen müsse. Da verlor Octave endlich die Geduld, er
erklärte, eine Abmachung nötige ihn, sich zu entfernen. Seine Ohren
summten vor Langeweile; er begriff, daß das Gespräch in dieser
Weise bis zum Abend fortdauern könne. Als er mit einem letzten
Gruße sich entfernte, sah er Marie plötzlich ohne besonderen Grund
erröten.
Wenn in Zukunft Octave am Sonntag an der Wohnung der Pichons
vorbeikam, beschleunigte er seine Schritte, besonders wenn er die
trockene Stimme der Alten hörte. Überdies war er vollauf mit der
Eroberung Valeries beschäftigt, die trotz der glühenden Blicke,
deren Ziel er zu sein glaubte, dennoch eine unerklärliche
Zurückhaltung beobachtete; er sah in diesem Benehmen das Spiel
einer Kokette. Eines Tages war er ihr wie zufällig im
Tuileriengarten begegnet, wo sie mit ihm ganz ruhig über ein
Unwetter zu sprechen begann, das tags vorher stattgefunden hatte.
Er gewann den Eindruck, daß er es mit einer sehr schlauen Person zu
tun habe. Er entschloß sich, ihr so häufig wie möglich auf der
Treppe aufzulauern, in ihre Wohnung einzudringen und – wenn nötig –
sogar rücksichtslos zu sein.
Wenn er jetzt an der Wohnung der Pichons
vorbeikam, errötete Marie jedesmal und lächelte. Sie tauschten
freundnachbarliche Grüße aus. Als er eines Morgens zum Frühstück
kam und ihr einen Brief überbrachte, den Herr Gourd ihm für sie
mitgegeben hatte, um die vier Stockwerke zu ersparen, fand er die
junge Frau in arger Verlegenheit. Sie hatte Lilitte, die sich im
Hemde befand, auf den runden Tisch gesetzt und war bemüht, sie
wieder anzukleiden.
Was ist denn vorgefallen? fragte der junge Mann.
Die Kleine ist schuld an allem, sagte Marie. Ich war so
unbesonnen, sie zu entkleiden, weil sie sich beklagte; und jetzt
kann ich nicht …
Er betrachtete sie mit Erstaunen. Sie drehte ein Unterröckchen
hin und her und suchte die Häkchen. Dann fügte sie hinzu:
Sie müssen wissen, ihr Vater hilft mir immer am Morgen,
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