Der Hagestolz
auszuladen, und die verschiedenen Fleischgattungen mit Hülfe des blödsinnigen Mädchens auf einer Tragbahre in die Eisgrube zu tragen. Victor sah hiebei ein ganz niederes eisernes Thürchen an der Hinterseite des Hauses öffnen. Als er über die Treppen hinter dem Thürchen hinab ging, erblikte er im Scheine der Laterne, die man dort angezündet hatte, eine gewaltige Last Eises, auf der allerlei Vorrathsdinge herum lagen, und die eine fürchterliche Kälte in diesem Raume verbreitete. In später Dämmerung war die Arbeit des Ausladens vollendet.
Der dritte Tag verging, wie die ersten zwei. Und es verging der vierte und es verging der fünfte. Drüben stand immer die Grisel, rechts und links standen die blaulichen Wände, unten dämmerte der See, und mitten leuchtete das Grün der Baumlast der Insel, und in diesem Grün lag wie ein kleiner grauer Stein das Kloster mit dem Hause. Der Orla ließ manches blaue Stük durch die Baumzweige darauf nieder schimmern.
Victor war bereits an allen Stellen der Einfassungsmauer gewesen, auf allen Bänken des Sandplazes oder Gartens war er gesessen, und auf allen Vorgebirgen des Ufersaumes des eingefaßten Plazes war er gestanden.
Am sechsten Tage konnte er es nicht mehr so aushalten, wie es war, und er beschloß der Sache ein Ende zu machen.
Er Weidete sich früh Morgens sorgfältiger an, als er es gewöhnlich that, und erschien so bei dem Frühstüke. Nachdem dasselbe vorüber war, und er schon neben dem Oheime in dem Zimmer stand, sagte er: »Oheim, ich wünschte mit euch etwas zu reden, wenn ihr nehmlich Zeit habt, mich anzuhören.«
»Rede,« sagte der Oheim.
»Ich möchte euch die Bitte vortragen, mir in Gefälligkeit den Grund zu eröffnen, weßhalb ich auf diese Insel kommen mußte, wenn ihr nehmlich einen besonderen Grund hattet; denn ich werde morgen meine Abreise wieder antreten.«
»Die Zeit bis zur Uebernahme deines Amtes dauert ja noch über sechs Wochen,« antwortete der Oheim.
»Nicht mehr so lange, Oheim,« sagte Victor, »nur noch fünf und dreißig Tage. Ich möchte aber noch einige Zeit, bevor ich in das Amt trete, in meinem zukünftigen Aufenthaltsorte zubringen, und möchte deßhalb morgen abreisen.«
»Ich entlasse dich aber nicht.«
»Wenn ich euch darum bitte, und wenn ich euch ersuche, mich morgen oder, wie es euch gefällig ist, übermorgen in die Hul hinüber führen zu lassen, so werdet ihr mich entlassen,« sagte Victor bestimmt.
»Ich entlasse dich erst an dem Tage, an dem du nothwendig abreisen mußt, um zu rechter Zeit bei deinem Amte eintreffen zu können,« erwiederte hierauf der Oheim.
»Das könnt ihr ja nicht,« sagte Victor.
»Ich kann es wohl,« antwortete der Oheim; »denn die ganze Besizung ist mit einer starken Mauer umfangen, die noch von den Mönchen herrührt, die Mauer hat das Eisengitter zum Ausgange, das niemand anderer als ich zu öffnen versteht, und der See, welcher die fernere Grenze macht, hat ein so steiles Felsufer, daß niemand zu dem Wasser hinunter kommen kann.«
Victor, der von Kindheit an nie die kleinste Ungerechtigkeit hatte dulden können, und der offenbar das Wort »können« im sittlichen Sinne genommen hatte, wie es sein Oheim im stofflichen nahm, wurde bei den lezteren Worten im ganzen Angesichte mit der tiefsten Röthe des Unwillens übergossen, und sagte: »So bin ich ja ein Gefangener?«
»Wenn du es so nennst, und meine Anstalten es so fügen, so bist du einer,« engegnete der Oheim.
Victors Lippen bebten nun, er konnte vor Erregung kein Wort sagen - dann aber rief er doch zu dem Oheime: »Nein, Oheim! das können eure Anstalten nicht fügen, was ihr beliebig wollt; denn ich gehe an das Felsenufer hinvor, und stürze mich gegen den See hinunter, daß sich mein Körper zerschmettert.«
»Thue das, wenn du die Schwäche besizest,« sagte der Oheim.
Nun konnte Victor in der That keine Silbe mehr hervor bringen - er schwieg eine Weile und es stiegen in ihm Gedanken auf, daß er sich an der Härte dieses abscheulichen Mannes rächen werde. Auf der andern Seite schämte er sich auch seiner kindischen Drohung, und erkannte, daß sich selber zu verlezen kein wesentlicher Widerstand gegen den Mann wäre. Er beschloß daher, ihn durch Duldung auszutrozen. Darum sagte er endlich: »Und wenn der Tag gekommen ist, den ihr genannt habt, lasset ihr mich dann in die Hul hinüber führen?«
»Ich lasse dich dann in die Hul hinüber führen,« antwortete der Oheim.
»Gut, so bleibe ich bis dahin,«
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