Der Hahn ist tot
Pamela Schröder so manchen beleidigt hatte, denn sie hielt mit ihrer Meinung nie hinterm Berg.
»Rainer und ich...«, begann sie wieder, bremste sich plötzlich und meinte dann: »Jetzt habe ich den Faden verloren.«
Ich haßte sie.
Auf der Burg Fleckenstein gab es eine Führung, von einem deutschsprachigen Veteranen nach alter Tradition gemeistert; er warf mit Zahlen um sich, aber diese Längen-, Breiten- und Höhenangaben langweilten; Witold hätte es sicher besser gemacht.
Dieser erste Tag verlief harmonisch, das freundliche Herbstwetter trug einen Teil dazu bei. Unsere Wanderung dauerte vier Stunden, ich fand es erträglich. Am Nachmittag wurde eine kleine Siesta eingebaut, ein zweiter Bummel durch das Städtchen folgte und das abschließende gute Essen. Diesmal gab es Coq au Riesling, eine Quiche lorraine vornweg, Sorbet hinterher und viel Wein dazu. Ich hatte kräftiger zugelangt als am Abend vorher, denn der ungewohnte Aufenthalt an der frischen Luft hatte mir Appetit gemacht. Außerdem war ich, seit ich in Witold verliebt war, immer magerer geworden, so daß ich mir vornahm, mich zu vermehrter Nahrungsaufnahme zu zwingen.
Aber ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. In der Nacht wurde mir schlecht, ja mehr als das, sterbenselend. Ich wagte nicht, mir in der Hotelküche eigenmächtig einen Tee zu kochen. Schließlich mußte ich mich von dem delikaten Abendessen unter qualvollem Würgen wieder trennen, und mir wurde etwas besser. Schlafen konnte ich indes immer noch nicht. Ich war außerdem nicht gewöhnt, einen fremden Atem neben mir zu hören. Nicht etwa, daß Kitty unruhig schlief. Wie ein kleiner Zinnsoldat lag sie da, stramm und gerade ausgestreckt, ohne im Traum zu zappeln oder mit dem Federbett zu rascheln. Erst gegen vier Uhr schlief ich ein.
Aber schon kurz nach sieben klopfte es leise an unsere Tür. Ich war sofort hellwach, auch Kitty reagierte prompt. Witold steckte seinen Kopf herein. Nur an der Flüsterstimme konnte ich ihn erkennen. »Ich mache jetzt einen Morgenspaziergang, will jemand mitkommen? Bis zum Frühstück um zehn sind wir längst wieder da.«
Nein, dachte ich, nicht um sieben in der Früh! Schließlich habe ich Urlaub und eine schlechte Nacht hinter mir! Ich schüttelte den Kopf. Bei aller Liebe- das ging zu weit. Aber Kitty willigte fröhlich ein.
»Warte unten fünf Minuten, ich putze mir nur die Zähne und fahre in meine Klamotten!« In Windeseile war sie fertig, fix und leise, und weg.
Aber wie soll man wieder einschlafen nach solcher Unterbrechung? Es war noch gar nicht richtig hell draußen. Vom Fenster aus sah ich die beiden mit großen Schritten über den tauigen Rasen zur Landstraße gehen.
Ich gähnte mehrmals, machte das Nachttischlämpchen an und griff nach meiner Wirtschaftszeitung. Aber zum ersten Mal im Leben fand ich sie stinklangweilig. Was sollten diese toten Zahlen, wenn man es mit lebendigen Menschen zu tun hatte? - Und mit toten.
Was las Kitty? Einen Bestseller in englischer Sprache. Ich war beeindruckt. Wieder einmal empfand ich mich als alt, ungebildet, spießig und langweilig.
Ich ging mir die Zähne putzen. Kittys kosmetische Ausrüstung war karg, keinerlei Make-up oder Malgeräte standen ihr zur Verfügung. Eine Dose mit Mandelkleie, eine Honigseife und eine Meersalz-Zahnpasta. Wie alt mochte sie sein? Ich öffnete ihre Nachttischschublade: Portemonnaie und Ausweis lagen vertrauensselig vor mir ausgebreitet. Na, doch schon fünfunddreißig, las ich erstaunt. Ich sah nach ihrem Gepäck. Kitty kam mit einer bemerkenswert kleinen Reisetasche aus. Unterwäsche, zwei weiße Blusen, ein zweites Paar Jeans, ein zweiter Pullover, Socken - das war’s. Ich hatte gut und gern die vierfache Menge mitgenommen.
Nun war ich richtig wach, ging unter die Brause, zog mich an. Erst halb neun. Ich trat auf den Flur. Neben unserem lag Witolds Zimmer, der Schlüssel steckte. Kein Mensch zu sehen. Ich trat leise ein, um auch hier ein wenig zu kundschaften. Was hatte Witold für Zahnpaste?
Als erstes sah ich aber einen vollen Aschenbecher neben dem Bett. Pfui, dachte ich, du bist mir der Rechte! Nachts wird gequalmt, und tags machst du auf Naturmensch und Wandervogel. Auf dem Bett lag ein zerknäulter dunkelblauer Schlafanzug. Wenigstens das Fenster hätte er aufmachen sollen, fand ich. Vorm Waschbecken lag eine ausgefranste Zahnbürste, Rasierkram und ein billiges Aftershave. Auch hier öffnete ich die Nachttischschublade, aber ich spürte dabei eine
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