Der Hahn ist tot
das jetzt als Hotel umgebaut sei. Es war schwer zu finden, aber traumhaft schön.
»Wenn wir hier was kriegen«, sagte Kitty kindlich, »dann habe ich ein ganzes Jahr lang Glück!«
Sie hatten zwei Doppelzimmer frei, aber in das eine könne man noch ein Zusatzbett schieben.
»Abgemacht!« rief Kitty.
»Ja doch«, sagte Ernst Schröder, »dann gibt es halt ein Buben- und ein Mädchenzimmer.«
Das Haus war uralt, mit sehr dicken Wänden und einer breiten Außentreppe. Die grünen Schlagläden verwitterten allmählich oder fehlten ganz; unsere Zimmer lagen im ersten Stock, es gab noch einen zweiten. Zum Essen mußte man über einen gepflasterten Hof gehen, denn im ehemaligen Gesindehaus war das kleine Restaurant untergebracht.
Wir drei »Mädchen« hatten das größere Zimmer. Ich saß auf dem breiten Fensterbrett und hatte das Restauranthäuschen im Blick. Fünf Katzen hatten sich vor der Tür versammelt. Sobald sie von außen geöffnet wurde, flitzten sie wie die Irrwische hinein. Wenige Minuten später wurde die Tür von innen geöffnet, ein Koch trat auf die Schwelle und warf die Katzen allesamt, eine nach der anderen, die Stufen hinunter. Das hinderte sie jedoch nicht daran, sich zu sammeln und mit dem nächsten Gemüsehändler oder Metzger erneut durchzuschlüpfen.
Nachdem wir die hübschen herbstlichen Bilder genug bewundert hatten, wurde die heutige Wanderung in Angriff genommen. Der Garten des Weingutes stand voller
Sonnenblumen. Hunde und Kälber, Kinder und Winzer wuselten herum. Kitty freute sich wie eine Schneekönigin.
Der Koch lief uns nach. Ob wir heute abend Baekaoffa wünschten.
»Ja!« sagte Kitty.
Ich fragte schüchtern, was das wäre, denn mein Magen war nach dieser Nacht immer noch hochempfindlich. Der Koch sprach von Schweineschwanz, Hammel schulter und Rinderbrust, die er mit Kartoffeln, reichlich Zwiebeln und Knoblauch, Gewürzen und viel weißem Pinot stundenlang in einer irdenen Terrine in den heißen Ofen stellen würde. Meine Wanderkameraden begeisterten sich schon beim Zuhören. Sollten sie sich nur immer ihren Schweineschwanz zu Gemüte führen, ich würde mir einen Haferbrei bestellen.
Auch das Wandern machte mir heute nicht viel Spaß. Ich hatte Magenkrämpfe. Zum Frühstück hatte ich nur Tee getrunken, und eigentlich wäre ich am liebsten im Hotel in diesem urgemütlichen Bauernbett geblieben, hätte das Fenster weit aufgemacht, ein wenig gedämmert und auf die fremden Laute von Mensch und Tier draußen gelauscht. Aber sollte man mich für eine alte Ziege halten, kränklich, säuerlich, eine Spielverderberin? Ich biß die Zähne zusammen und lief und lief...
Schließlich kam ich mir wie ein napoleonischer Krieger vor, der durch Rußlands endlose Steppen und Sümpfe marschiert, den sicheren Tod vor Augen.
Keiner merkte mir etwas an. Aber als ich drei Stunden lang nur »ja« und »nein« gesagt hatte, schaltete der stets pflegefreudige Witold schließlich doch, daß der Soldat Thyra nicht ganz auf dem Posten war. Ich gab zu, das gestrige Essen nicht vertragen zu haben. Witold holte aus seiner Anoraktasche einen Flachmann.
»Trink ein Schlückchen, das hilft!«
Weil er es war, der mir die scharf riechende Flüssigkeit unter die Nase hielt, gehorchte ich. Es war ein scheußlicher Kräuterschnaps, der aber wirklich half.
»Nun?« fragte er gespannt und wartete auf eine Erfolgsmeldung. Ich nickte matt.
»Paß auf«, sagte er, »wir steuern jetzt eine Straße an, dort winke ich einem Auto, und du fährst zurück ins Hotel!«
Wider Erwarten klappte es. Ein Lieferwagen voller Farbeimer und Malerutensilien hielt sofort an. Witold konnte nun auch sein perfektes Französisch an den Mann bringen und erklären, daß Madame von einem heftigen Unwohlsein befallen sei.
»Dann fahre ich auch mit«, sagte Scarlett plötzlich, »wenn ich noch mal drei Stunden zurücklatschen soll, dann wird mir das auch zuviel!«
Sie tat dem Fahrer gegenüber so, als wolle sie mich Schwerkranke betreuen, kletterte hinten hinein und setzte sich auf eine farbverschmierte Leiter. Sie winkte den anderen königlich zu, während ich mich unendlich erleichtert neben dem Fahrer auf den Sitz fallen ließ.
Scarlett plauderte in gräßlichem Französisch und unter heftigem Gestikulieren mit dem Fahrer, der durch seinen Rückspiegel mit ihr in Blickkontakt stand. Obgleich mir ihre vielen Fehler auffielen, wäre ich doch nie imstande gewesen, mich in dieser Sprache zu unterhalten. Als wir ankamen und uns bedankt
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