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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Kartoffeln zerquetschen solle, ohne den köstlich eingedickten Weinsud. Ich aß auch ein paar Happen und übersah geflissentlich, wie sich Kitty und Ernst den ekligen Schweineschwanz teilten.
    Es wurde getafelt und gebechert wie an den letzten zwei Abenden, die Stimmung war überaus heiter. Ernst Schröder hatte einen unerhörten Durst. Obgleich er wie ein Scheunendrescher über den Baeckaoffa herfiel, war er doch nach zwei Stunden sichtbar angetrunken und sehr redselig.
    »Wenn ich die heutige Jugend sehe - speziell meinen vielversprechenden Filius -, dann muß ich vor Neid ganz blaß werden. Was der mit achtzehn Jahren schon alles an Frauen verschlissen hat, das kann ich in meinem ganzen Leben nicht mehr aufholen!«
    Scarlett warf ihm einen skorpionhaften Blick zu.
    »Mit siebzehn hatte ich mein erstes erotisches Abenteuer, aber dann lange nix mehr. Das war aber damals ganz ungewöhnlich früh«, sagte er angeberisch, »beim Anblick von Thyras Brosche fällt mir alles wieder ein!«
    »Erzählen!« rief Witold lustig.
    Scarlett zischte: »Du wirst geschmacklos, Ernst.«
    »Also, das war schon ein dolles Ding«, fuhr Ernst unbeirrt fort, »ich war ein reichlich verklemmter Schüler, so wie wir das in den fünfziger Jahren alle waren. Eines Tages sprach mich auf dem Heimweg von der Schule eine junge Frau an, weil sie eine bestimmte Straße suchte. Es war zufällig die, in der ich wohnte. Noch größer war der Zufall, daß sie zu den Leuten im Souterrain unseres Mietshauses wollte. Dort war aber keiner zu Hause. Meine Eltern waren für drei Tage verreist. Ich bat das fremde Fräulein zu uns herein, damit sie einen Zettel für diese Leute schreiben konnte.«
    Wir waren alle ganz Ohr.
    »Ein Roman, den das Leben schrieb«, spöttelte Witold.
    »Weiter«, bat Kitty.
    Scarlett hatte es aufgegeben, ihren Mann unter dem Tisch zu treten.
    Ernst, der große Don Juan, genoß sichtlich unsere Aufmerksamkeit.
    »Ob ihr es glaubt oder nicht, ich - der völlig Unerfahrene - habe die noch viel Unerfahrenere gleich bei diesem ersten Zusammentreffen verführt!«
    »Ich bin sprachlos!« sagte Witold, »Hakim, wenn du nicht lügst, bist du ein unerhörter Schwerenöter!«
    Scarlett kniff jetzt Witold in den Unterarm.
    »Du hast es gerade nötig, ihn dafür auch noch zu loben!«
    »Wie ging es weiter?« wollte Kitty wissen.
    »Meine Geliebte war mindestens acht Jahre älter als ich, damals hatte eine unverheiratete Frau über fünfundzwanzig wahrscheinlich schon Komplexe und Torschlußpanik.« - Ernst lächelte Kitty charmant an, um wiedergutzumachen, daß diese Bemerkung nicht besonders taktvoll war.
    »Na ja, um es kurz zu machen: Wir liebten uns inbrünstig und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich grüner Junge wollte sie natürlich heiraten. Aber um auf die Brosche zu kommen - ich klaute sie meiner Mutter und schenkte sie meiner Angebeteten als Liebespfand.«
    »Und was ist aus der Frau geworden?« wollte Kitty wissen.
    Ernst betrachtete die Brosche mit abwesendem Blick.
    »Ich weiß es nicht. Sie zog plötzlich weg, schrieb mir einen Abschiedsbrief und hinterließ keine Adresse. Ich junger Spund kriegte nie heraus, wo sie hingegangen ist.«
    »Meinst du denn, das ist die Brosche deiner Mutter?« fragte Witold.
    »Mit Sicherheit wird man das nicht feststellen können, obgleich man bei so einem ausgefallenen Stück schon glaubt, daß nicht viele von dieser Sorte existieren.«
    Witold nahm die Brosche wieder in die Hand. Auf einmal sah er Scarlett spitzbübisch an.
    »Was meinst du, was ein richtiger Junge in seiner Hosentasche hat?«
    Sie rümpfte die Nase: »Pfui Teufel, jetzt ziehst du gleich Blindschleichen und Molche heraus!«
    Witold lachte. »Sehr schlecht geraten! Natürlich ein Schweizer Offiziersmesser!«
    Er hatte das rote Prachtstück schon in der Hand.
    »Thyra, darf ich mal vorsichtig mit dem kleinsten und feinsten Instrument die Rückseite von der Brosche ablösen? Vielleicht ist zwischen der Goldplatte und dem Stein eine Locke, ein Juwelierszeichen oder eine Inschrift.«
    Ich nickte, und er begann sehr zart, die vielen dünnen Goldzähnchen umzulegen. In die von außen nicht sichtbare Hinterwand war tatsächlich ein Monogramm eingraviert: E. S. Ernst wurde ganz aufgeregt, es müsse der Name seiner Großmutter väterlicherseits sein, Elise Schröder.
    »Das bedeutet«, sagte Ernst, »daß meine frühe Geliebte entweder tot ist und ihre Hinterlassenschaft von den Erben verkauft wurde, oder daß sie in große Armut

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