Der Hahn ist tot
Schlamperei nur die leere Schachtel mitgenommen hatte. Na ja, ich weiß weder, wie so ein Ding aussieht, noch, warum sich die Polizei dafür interessiert.«
Er verabschiedete sich und versprach, sich bald wieder zu melden.
Hinterher ärgerte ich mich. Vielleicht wäre es richtig gewesen zu behaupten, daß ich den Lockenstab eingepackt hätte. Ein neuer wäre schnell gekauft gewesen. Andererseits hatte ich keine Ahnung, welche Marke und welches Alter Scarletts Lockendreher hatte. Es würde wahrscheinlich noch viel verdächtiger aussehen, wenn das Gerät nicht zu der Originalschachtel paßte. Trotzdem war ich beunruhigt und nervös. Zum Glück hatte ich noch zwei freie Tage; ich wollte sie ganz zu meiner körperlichen und seelischen Regeneration verwenden.
Am nächsten Tag rief Frau Römer an. Ob sie mal reinschauen könne? Sie kam also nachmittags, der Dieskau lag mir in den Armen und rührte mich. Frau Römer begann vorsichtig, auf ihre geplante Amerikareise zu verweisen. Ich versicherte, daß mir der Hund jederzeit willkommen sei, und Frau Römer war beglückt. Wenn das wirklich so wäre, wollte sie demnächst einen Flug buchen und dann drei Wochen bei ihrer Tochter in Amerika bleiben. Ich ermutigte sie, ruhig doppelt so lange zu verreisen, denn wenn man schon einmal dort war... Bei dieser Gelegenheit fragte ich sie auch, ob ihre Tochter wisse, wer ihr Vater sei. Nein, sie glaube, ihr Vater sei tot.
Übrigens trug ich an diesem Nachmittag die Brosche, um Frau Römer zu ehren. Ich hatte sie Ernst Schröder noch nicht übergeben, plante aber, sie ihm nach der Beerdigung zu schicken. Frau Römer war glücklich, daß ich das wertvolle Stück angesteckt hatte.
Sie erzählte von ihrem alten Hund, der anscheinend nicht mehr gut sehen und riechen konnte.
»Als junger Hund war der Dieskau ein großer Katzenjäger.
Überhaupt fegte er hinter allem her, was sich bewegte, auch hinter Vögeln. Bei zunehmender Erfahrung hat er das wenigstens aufgegeben.« Sie lachte vor sich hin.
»Einmal, als er noch sehr jung und dumm war, nahm ich ihn mit auf einen Segel- und Sportflugplatz. Von weitem konnte man sehen, wie so ein Riesenvogel auf die grüne Wiese zuflog und sanft landete. Der Hund war nicht an der Leine und schoß davon, um diese Beute zu fangen. Ich natürlich hinter ihm her, denn er war unter der Absperrung durchgewitscht. Mit viel Geschrei und Gerufe gelang es mir, ihn zurückzukommandieren.
Na, sagte ich, was hättest du denn mit diesem Vogel gemacht, du kleiner Hund, wenn du ihn erwischt hättest?«
Ich lachte auch ein wenig, pflichtgemäß.
Frau Römer fuhr fort: »Später kam mir dieses Bild oft wie ein Symbol vor. Auch ich, beziehungsweise alle Menschen, rasen hinter einem großen Ziel her, wollen unbedingt alles haben und erkennen ebensowenig wie der kleine Hund, daß diese Beute das falsche Kaliber hat und wir gar nichts damit anfangen könnten.«
Sie sah mich an und meinte: »Übrigens, was ganz anderes! Gehen Sie mal zum Arzt, Frau Hirte, Sie gefallen mir in letzter Zeit gar nicht.«
Ich lag an diesem freien Tag hauptsächlich im Bett. Am Sonntag abend ließ Witold von sich hören, Kitty hatte sich gar nicht gemeldet. Ernst und er seien wieder zu Hause. Die Apotheke sei geschlossen. Ernst beschäftige sich intensiv mit seinen Kindern.
Ich fragte nach der Beerdigung.
»Kommenden Mittwoch«, antwortete Witold, »die Obduktion hat übrigens ergeben, daß Scarlett ertrunken ist. Wie wir schon dachten, hatte sie einen Herzanfall, wurde bewußtlos und ertrank.«
»Witold, wie geht es dir?« wollte ich wissen.
»Den Umständen entsprechend«, sagte er kurz.
Ich entschloß mich zu einer Bemerkung.
»Du hast mit Scarlett noch nachts eine Zigarette geraucht«, begann ich, »da es aber sicher unwichtig in diesem Zusammenhang ist, habe ich der Polizei nichts erzählt.«
Witold gab einen Laut von sich, der ziemlich waidwund klang.
»Thyra, ein für allemal: Du brauchst mich nicht zu beschützen. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Warum hast du dann nichts davon gesagt?«
»Aus Respekt vor der Toten und natürlich vor Ernst. Es war so schon schlimm genug für ihn. Soll er nun auch noch Zweifel kriegen, ob seine Frau ihn mit seinem Freund betrogen hat?«
»Aber sie hat«, konstatierte ich.
Ich hörte Witolds Feuerzeug klicken und dann das heftige Ein- und Ausatmen.
»Purer Quatsch«, sagte er zornig, »wir haben ziemlich lange draußen gesessen und geredet, aber das war’s auch.«
»Warum seid ihr
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