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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Beruhigungsspritze geben solle. Witold erklärte, Monsieur sei selbst Apotheker und mit jeglichen Medikamenten bestens ausgerüstet.
    Der französische Arzt zog bei dem Wort »Apotheker« prüfend die Augenbrauen hoch und musterte Ernst kritisch. Als er wegfuhr, war es fast zehn. Die Leiche war von den Sanitätern, die in der Ambulanz keine Toten transportieren durften, wieder aus dem Wagen genommen und in ein kleines Nebenzimmer im Erdgeschoß gebracht worden. Ernst begab sich zu der Toten, die demnächst abgeholt werden sollte, saß neben ihr und versteinerte.
    Die Wirtin war zwar auch völlig außer sich, aber dabei mitfühlend und liebenswürdig. Die anderen Gäste waren zum Glück schon zeitig zu einer Fahrt aufgebrochen, und die große Katastrophe ließ sich vielleicht verheimlichen. Auf mütterliche Art befahl sie uns, erst einmal etwas anzuziehen und dann einen starken Kaffee zu trinken. Die Polizei hatte auch schon angerufen und darum gebeten, im Bad nichts anzutasten.
    Kitty und ich duschten in einem anderen Zimmer. Witold war bereits fertig. Er nahm eine Tasse Kaffee vom Frühstückstisch und brachte sie seinem Freund. Kitty und ich tranken ebenfalls Kaffee, aßen sogar ein trockenes Hörnchen.
    Witold sah aus wie das verkörperte schlechte Gewissen. Natürlich hatte er keine Ahnung, wer von uns von seiner nächtlichen Eskapade etwas wußte. Um seine sichtliche Nervosität zu vertuschen, entwickelte er eine übertriebene Geschäftigkeit. Ständig wieselte er vom Frühstücksplatz, wo wir Frauen saßen, in die Küche zur Wirtin und dann in den stillen Raum, wo Ernst bei seiner toten Frau saß und nicht gestört werden wollte.
    »Ich mache mir Vorwürfe«, sagte Kitty zu Witold und mir, »gerade in dieser Nacht habe ich wie ein Stein geschlafen, man hätte mich wegtragen können, und ich wäre nicht wachgeworden. Thyra oder ich hätten eigentlich hören müssen, als sich Scarlett spät in der Nacht das Badewasser einlaufen ließ, vielleicht hätten wir ihr noch helfen können.«
    »Wahrscheinlich hatte sie eine Herzattacke, verlor das Bewußtsein und ertrank«, meinte Witold, »das könnte doch ganz lautlos geschehen sein. Kitty, du mußt dich nicht verantwortlich fühlen. Unterlassene Hilfeleistung ist wirklich nicht dein Stil, schließlich hast du hervorragend reagiert, traumwandlerisch alles richtig gemacht. ..«
    Das tat Kitty gut. Sie lobte nun auch uns, daß wir phantastisch schnell geschaltet hätten. Wie entsetzlich, daß alles vergeblich war!
    »Der arme Ernst!« seufzte sie, »wie geht es ihm denn jetzt?«
    Witold meinte, er müsse ihn bald dazu bewegen, jenes Zimmer zu verlassen.
    In punkto Kitty schien Witold beruhigt zu sein, aber er wußte natürlich immer noch nicht, ob Ernst oder ich von seinem Rendezvous etwas ahnten. Ich beruhigte ihn, indem ich in seiner Gegenwart zu Kitty sagte, daß ich nach der vorherigen Nacht voller Magenbeschwerden nun auch traumlos und tief geschlafen hätte.
    Ein Polizist wurde von der Wirtin in unser Schlafzimmer und das Bad geführt. Er versiegelte die Badezimmertür, maß zuvor mit einem Thermometer das immer noch vorhandene Badewasser und fragte Kitty, wer in welchem Bett geschlafen habe. Der junge Mann sprach kein Elsässisch. Kitty antwortete in fließendem Französisch, verstummte allerdings, als Witold auftauchte, und überließ ihm die weitere Konversation. Der Beamte sagte, wir müßten alle hierbleiben, bis uns ein Kollege vernommen hätte, und der könne frühestens in zwei Stunden hier sein. Er sah auch nach der Toten, bat aber vorher Ernst Schröder, diesen Raum zu verlassen.
    Ernst kam zu uns herein. Auf einmal schüttelte ihn ein Weinkrampf. Kaum konnte man ihn verstehen, aber er klagte sich selbst aufs heftigste an. Er habe mit seinem Geschwätz beim Abendessen Pamela beleidigt, denn seit Jahren könne sie solche Themen nicht ausstehen. Wahrscheinlich sei sie ganz wörtlich an gebrochenem Herzen gestorben. Kitty streichelte ihn wie ein Kind, nahm ihn in die Arme und sprach beruhigend auf ihn ein. Der Polizist kam wieder herein und sagte, er würde hier auf seinen Chef warten. Er ging dann in die Küche, um sich von der freundlichen Wirtin noch etwas Baeckaoffa aufwärmen zu lassen. Wir saßen beklommen da. Nur zu gern hätte Witold gewußt, ob Ernst ihn am Abend hatte wiederkommen hören. Wahrscheinlich mußte er ja noch wach gewesen sein, als Witold mit der Zigarette das Schlafzimmer verließ. Wir erfuhren aber von Ernst selbst, daß er eine,

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