Der Hahn ist tot
sehr delikat gerahmt und ein wenig versteckt in der Fensterecke. In mir wallte nun doch eine eifersüchtige Wut auf, denn solche Fotos besaß ich nicht.
Als Kitty mit zwei irdenen unglasierten Teeschalen, braunem Zucker und Ingwerplätzchen wieder erschien, fragte ich, ob ihre Fotos von der Elsaßwanderung fertig wären. Sie sah mich entsetzt an.
»Mein Gott, nach diesem Schock denkst du noch an Fotos! Der Film ist nur halb verknipst, sicher werde ich die andere Hälfte noch monatelang für eine passende Gelegenheit aufheben.«
Nun fragte ich, wie die Beerdigung gewesen sei. Kitty rannte wieder in die Küche, um das kochende Wasser in die Teekanne zu schütten.
»Natürlich war es schrecklich«, begann sie, »der Pfarrer hat aber wenigstens eine gute Rede gehalten, weder sentimental noch banal. Wir alle waren ergriffen. Ernst und die beiden Kinder - das war kaum zum Ertragen! Ein so großes Leid, das kann ich dir gar nicht schildern!« Kitty hatte Tränen in den Augen.
»Waren viele Leute da?«
»Ganz Ladenburg, so schien mir. Auch das halbe Lehrerkollegium, die Schulklassen von Oleg und Annette, verschiedene Vereine. Die Schröders sind sehr beliebt. - Ach, es ist schon tragisch, wenn eine Mutter von zwei Kindern stirbt.«
Ich hörte wieder mit Genugtuung von der großen Beerdigung. Alles mein Werk. Jetzt tat es mir doch leid, nicht dabei gewesen zu sein.
»Warum warst du nicht dort?« wollte Kitty wissen.
Ich erklärte ihr, daß es schon große Schwierigkeiten gegeben hätte, für diese Wanderung freizukriegen; an einem Nachmittag so kurz darauf sei es einfach nicht möglich gewesen.
»Meinst du, ich soll Ernst Schröder die Brosche seiner Mutter einfach als Päckchen zuschicken?« fragte ich.
Kitty überlegte und kraulte dabei die Katze.
»Ich würde noch warten. Im Augenblick hat er sicher ganz andere Dinge im Kopf. Außerdem wird ihn diese Brosche an den letzten gemeinsamen Abend erinnern. Er denkt ja leider, daß er mit dieser Broschengeschichte seine Frau verletzt hat. Nein! Warte auf jeden Fall, bis die erste schlimme Zeit vorbei ist. Dann kann Rainer ja vorsichtig anfragen, ob er die Brosche überhaupt noch haben will.«
Ein vernünftiger Rat, aber ich hatte einen fast unbezähmbaren Drang, Frau Römers Brosche wegzugeben, sie loszuwerden. Vielleicht wollte ich damit etwas wiedergutmachen ...
»Wie geht es Witold?« Ich konnte nicht anders und mußte diese Frage stellen.
Kitty betrachtete mich. Sie war müde. In ihren alten Jeans und einem noch älteren Norwegerpullover hing sie im Schaffell und hatte einen großen Teil ihrer frischen Wandervogelaura gegen eine gestreßte Lehrerinnenfreundlichkeit eingetauscht.
»Rainer mochte Scarlett sehr, glaub’ ich. Ihr Tod geht ihm nahe«, sie zögerte ein wenig, »ich nehme aber an, seine junge Freundin wird ihn trösten.«
Die letzten Worte waren trotzig. Kitty wollte, daß ich von Vivians Existenz erfuhr, offensichtlich war sie ebenso als »einzige Vertraute« eingeweiht worden wie ich. Ich beschloß, nicht zu lügen.
»Ich weiß von seiner Freundschaft mit Vivian«, sagte ich, »er hat mir natürlich davon erzählt.«
Das schien Kitty nicht allzu sehr zu verwundern, sondern nur ihren Verdacht zu bestätigen, daß wir beide als vertraute Beichtschwester für diesen Charmeur fungierten. Konnte man ihm das vorwerfen? Wahrscheinlich machte er keine falschen Versprechungen und Liebeserklärungen, sondern kostete es nur aus, möglichst viele Eisen im Feuer zu haben.
Kitty seufzte. Sie schien ähnlichen Gedanken nachzusinnen. Ich wagte aber nicht, nach ihrer Beziehung zu fragen.
Es wurde nun schon früh dunkel. Ich beschloß, wieder über Ladenburg zurückzufahren. Aus alter Gewohnheit stellte ich den Wagen ab, lief zu Fuß an Witolds Haus vorbei und starrte auf Beates Auto. Ich kroch in die Apfelbäume, die allerdings ihre Blätter abwarfen und teilweise schon kahl waren.
Im Wohnzimmer saß Vivian ganz allein und weinte. Eigentlich hatte ich etwas anderes erwartet, beispielsweise eine Verführungsszene. Aus der Küche kommend, betrat ein junger Mann die Bühne, es war wohl der älteste Sohn, und stellte ein Tablett mit Brot, Butter und Aufschnitt auf den Tisch. Witold rief aus der Küche, und der Sohn holte einen wurzeligen Korkenzieher aus der Schublade und verschwand. Vivian schneuzte sich. Ihre Augen waren verschmiert, die Nase rot. Nun kam Witold, strubbelte ihr im Vorbeigehen freundlich übers schwarze Haar und stellte Rotwein und Gläser auf
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