Der Hauch Des Bösen: Roman
gerissen, in dem er gefangen war. Doch sie folgte ihrem Instinkt und den Regeln ihres Berufs und sprach mit derselben ruhigen Stimme, mit der sie auch im Rahmen ihrer Arbeit mit Opfern und Hinterbliebenen sprach. »Du darfst dir nicht die Schuld an diesen Dingen geben. Und du darfst dich ebenso wenig dafür bestrafen.«
»Jemand sollte dafür bezahlen. Verdammt, Eve, es sollte irgendwas geschehen. Ich fühle mich... hilflos, und das gefällt mir nicht. Das hier ist etwas, das ich nicht ändern kann, wogegen ich mit meinen Fäusten
nichts ausrichten kann, von dem ich mich nicht freikaufen, aus dem ich mich nicht herausreden kann. Wie ich es auch drehe und wende - sie ist tot, und er hat nie dafür bezahlt.«
»Roarke, ich weiß nicht, wie oft - man kann sie nicht alle im Kopf behalten, wenn man nicht durchdrehen will -, ich weiß nicht, wie oft ich schon bei Menschen klopfen und den Stoff, aus dem ihr Leben war, zerreißen musste, indem ich ihnen sagte, dass jemand, den sie geliebt haben, getötet worden ist.«
In der Hoffnung, ihn zu trösten, strich sie ihm sanft über das Haar. »Sie fühlen das Gleiche wie du im Moment. Und egal, wie du es drehst und wendest, zahlt derjenige, der den Tod von jemandem verursacht hat, nie genug.«
»Selbst wenn du es nicht gerne hörst, sage ich es trotzdem: Ich habe mir schon oft gewünscht, ich wäre derjenige gewesen, der ihn aus dem Verkehr gezogen hat. Obwohl ich weiß, dass sich dadurch nichts ändert und dass es nichts bedeutet, habe ich es mir noch nie so sehr gewünscht wie jetzt. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich dich nicht gleich in diese Sache einbezogen habe. Wie könntest du jemals verstehen, dass ich mich wie ein Versager fühle, weil sein Blut nicht an meinen Händen klebt?«
Sie sah auf seine Hand und auf den goldenen Ring, den er an einem Finger trug. »Du irrst dich, wenn du denkst, dass ich das nicht verstehe. Ich verstehe es sogar sehr gut, weil nämlich das Blut meines Vaters an meinen Händen klebt.«
»O Gott.« Es bereitete ihm Übelkeit und machte ihn wütend, dass er vor lauter Selbstmitleid vergessen
hatte, was sie erlitten hatte. Er zog sie eng an seine Brust. »Tut mir leid, Baby.«
»Selbst zu morden hilft ebenso wenig.« Sie lehnte sich so weit zurück, dass sie ihn anschauen konnte. »Das kannst du mir glauben. Und ebenso kannst du mir glauben, dass jeder andere eher ein Versager ist als du.«
Er lehnte seinen Kopf gegen ihre Stirn. »Ich kann ohne dich nicht leben. Ich weiß nicht, wie ich jemals ohne dich zurechtgekommen bin.«
»Tun wir einfach so, als ob es diese Zeit nicht gab. Du hast ein paar ziemlich harte Tage hinter dir. Also werde ich jetzt erst mal etwas tun, was du sonst bei mir so gerne tust, nämlich dich zwingen, was zu essen.«
Endlich lächelte er, als sie sich erhob, um zum AutoChef zu gehen. »Du bemutterst mich ja regelrecht.«
Sie blickte über ihre Schulter und musterte ihn forschend. Er trug nach wie vor lediglich seine lange Hose, und obwohl seine Augen nun amüsiert blitzten, hatte er dunkle Ringe darunter und war kreidebleich.
Nun, sie würde dafür sorgen, dass er wieder Farbe ins Gesicht bekam.
»Nachdem du mich oft genug bemuttert hast, müsste ich inzwischen halbwegs wissen, wie das geht.« Am besten wäre wohl eine Suppe, überlegte sie. »Ich kenne mich mit Müttern nicht besser aus als du, aber nach allem, was du mir eben erzählt hast, fände sie es bestimmt schrecklich, dass du dir die Schuld an ihrem Unglück gibst. Wenn sie dich geliebt hat, würde sie garantiert wollen, dass du glücklich bist. Sie würde
wollen, dass du ihm entkommen, dass du erfolgreich und wichtig geworden bist.«
»Auf welchem Weg auch immer.«
»Ja.« Sie zog die Suppe aus dem AutoChef und kehrte damit zu ihm zurück. »Auf welchem Weg auch immer.«
»Trotzdem ist er ewig in mir.«
Nickend nahm sie neben ihm Platz. »Ich nehme an, da hast du Recht. Aber das bedeutet, dass auch sie ewig in dir ist. Womit du erbgutmäßig plötzlich einen ziemlichen Vorsprung vor mir hast.«
»Ich bin mein Leben lang relativ erfolgreich vor meiner Vergangenheit geflüchtet. Sie wirft keine solchen Schatten auf mich wie deine Vergangenheit auf dich.« Ohne großes Interesse, nur weil sie sich die Mühe gemacht hatte, ihn zu versorgen, schob er sich den ersten Löffel Suppe in den Mund. »Ich wollte weder dich noch irgendjemand anderen in diese Sache hineinziehen. Ich wollte sie alleine klären. Aber sie nagt an mir. Jetzt kenne
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