Der Hauptmann von Koepenick
Berlinerisch der einfachen Leute). Trotz aller Typisierung haben die Personen der Satire lebendige individuelle Züge, vor allem der Schuster Voigt, dessen Ahnherr Eulenspiegel heißt und der keineswegs ein Hochstapler und Krimineller, sondern ein melancholisch-verschmitzter Unglücksrabe ist, den eine unmenschlich geahndete Jugendsünde zwingt, die preußische Obrigkeit mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
Eckehart Nölle
Aus: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold (ISBN 978-3-476-04000-8). – © der deutschsprachigen Originalausgabe 2009 J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, Stuttgart (in Lizenz der Kindler Verlag GmbH).
Aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur:
Carl Zuckmayer
Geb. 27.12.1896 in Nackenheim;
gest. 18.1.1977 in Visp/Schweiz
Der Dramatiker, sonst kein Freund von Larmoyanz, war bewegt, als er die Veteranen des Ersten Weltkriegs an einem Frühlingstag, fünfzig Jahre nach dessen Ausbruch, über die Champs-Élysées marschieren sah, »freundliche Gestalten, wie man sie in jedem Bistro« traf, die ihm »furchtbar alt« vorkamen, wie er sich selbst, und denen er sich am liebsten angeschlossen hätte auf dem Weg zum »Grabmal des Unbekannten Soldaten«: »jenes zerrissenen, zermörserten, atomisierten Niemand, der das Symbol unserer Zeit geworden ist. Ich hatte das Gefühl, ich müßte hingehen und sie umarmen, diese Groß- und Kleinbürger, Pensionäre und Handwerker, ich müßte ihnen sagen: ›Hier bin ich! der auf euch geschossen hat, dem ihr nach dem Leben trachten mußtet‹. Ich hatte das Gefühl, ich gehörte zu ihnen, mehr als zu irgend jemand anderem auf der Welt. Denn sie waren die ›Feinde‹. Ich mußte weinen« (1966). Carl Zuckmayers intellektuelle und künstlerische Entwicklung ist durch das Erlebnis zweier Weltkriege, des ersten als Kriegsfreiwilliger, des zweiten als Emigrant in den USA, entscheidend geprägt, und seine pazifistischen Bemühungen um Völkerverständigung und linkshumanitäre, brüderliche Erneuerung der Werte ist nach beiden Kriegen erstaunlich ähnlich; von hier lassen sich Verbindungslinien zum Verständnis des Gesamtwerks und der einzigen politischen Maxime seiner sonst eher »überzeitlichen«, verständlichen »Menschenkunst« mit ihrem pantheistisch-religiösen Ethos ziehen.
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte der 17jährige mit Erfolg pazifistische Lyrik an die Frankfurter Zeitung gesandt, wurde aber, wie die Zeitungsredakteure auch, von einer Welle patriotischer Kriegsbegeisterung überrollt, die, in der Hoffnung auf Befreiung von abgelebten Konventionen, ganz Europa erfasst hatte. Während des Krieges verfasste er expressionistische Verse und Prosa für Franz Pfempferts Wochenzeitschrift Aktion und gehörte dessen utopisch-anarchistischer »Antinationaler Sozialisten-Partei« an. Mit Ehrenmedaillen dekoriert, verwundet, vom Nervenlazarett mühsam genesen, von seiner Truppe zum revolutionären Soldatenrat ernannt, schreibt er nach dem Krieg als Philosophie- und Botanikstudent aus Frankfurt a.M. dem Soldatenfreund Kurt Grell die Bilanz seiner Schützengraben-Lektüre und -Erfahrung: » – – Bürgerstumpfsinn, – – Staatskirche –: der Verkalkung und Verlogenheit dieser Zeit. Resultat: der Krieg […] – – Schändung der Seele: Vaterland. Heilige Pflicht. Geldsack. Kriegsgewinn. Kameradschaft. E.K. I. = Schiebung und Beförderungsintrigue, Verpflegungsoffiziere – –, viehische Ärzte, Etappe, Ehrgeizlinge die Bataillone opfern – oh Kulturmenschheit […] Und doch. Die Kameraden –: das sind – die Armen, die dumpf im Graben Hockenden, die in Fabriken Zermalmten, die Geschobenen, die Getretenen« (Sommer 1919). Nach dem Zweiten Weltkrieg im Exil findet der lebensfrohe Z. nach seiner zeitnahen und neusachlichen Phase des Volksstücks – Der fröhliche Weinberg (1925), Schinderhannes (1927), Katharina Knie (1928), Der Hauptmann von Köpenick (1931) – zum Problemstück in der Art Friedrich Schillers und seiner expressionistischen Anfänge zurück. Des Teufels General (1946) bildet ein genaues Übergangsstück: Es enthält den aktuellen Stoff des Widerstands im Krieg und einen naturalistischen ersten Akt gegenüber dem expressionistischen Pathos der Schicksals-»Hand« und »Verdammnis« des sich selbst richtenden Fliegergenerals. Der Gesang im Feuerofen (1950) stellt von Beginn an den metaphysisch-allegorischen Bezug des wiederum
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