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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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dieser Stadt, irgendwo werde ich schon eine auftreiben.“
    Eine Buchhandlung fand Jonas nicht so schnell, aber ein großes Kaufhaus. Doch würde man sein Geld hier überhaupt nehmen? Er stellte sich vor eine Telefonzelle und wartete, bis in dem Strom der Passanten eine ältere, freundlich aussehende Frau vorbeikam.
    „Verzeihen Sie bitte“, sprach er sie an, „könnten Sie mir helfen? Ich habe kein Kleingeld.“ Die Frau sah auf das Markstück in seiner Hand.
    „Ja, was ist denn das für Geld? Du bist nicht von hier, was?“
    Jonas schüttelte den Kopf, machte ein trauriges Gesicht.
    „Nein“, sagte er, „und ich habe mich verlaufen. Ich müßte meine Tante anrufen, aber…“
    „Behalt dein Geld“, sagte die Frau. „Hier, das wird reichen.“ Sie drückte ihm zwei Münzen in die Hand.
    Also war nichts mit kaufen, die Landkarte mußte er stehlen! Jonas ging langsam zum Eingang des Kaufhauses, zögerte, ging vorbei, blieb schweratmend stehen. Worauf hast du dich nur eingelassen, dachte er. Alle Welt belügen und nun auch noch stehlen. Und die Zeit drängte, bestimmt schloß das Kaufhaus bald. Er seufzte tief, dann ging er hinein.
    Die Buchabteilung war neben der Rolltreppe im zweiten Stock. Jonas schlenderte zwischen den Tischen hindurch, die Hände in die Hosentaschen vergraben. Er traute sich nicht, eines der Bücher auch nur anzufassen. Sein Herz klopfte so laut, daß er meinte, alle müßten es hören können. Und rote Ohren hatte er. Bestimmt mußte man ihn nur ansehen, um mitzubekommen, was er vorhatte. Dann entdeckte er einen großen Ständer voller Autokarten, mit zitternden Händen nahm er sich eine von Spanien, schlug sie auseinander, sah, daß auf der Karte offensichtlich auch noch das kleinste Dorf verzeichnet war, faltete sie wieder zusammen, blickte sich um.
    Hatte der Mann dort ihn nicht schon vorhin beobachtet? Jetzt wandte er die Augen ab, tat, als ob er sich für das Buch in seiner Hand interessiere, aber Sekunden später blickte er schon wieder verstohlen zu Jonas herüber.
    Es half nichts, die Karte brauchte er. Jetzt. Morgen war bereits Donnerstag. Jonas legte sie auf das flache Bord vor dem Ständer, nahm sich eine Karte von Schweden, breitete sie auseinander, tat, als suche er einen Ort. Dabei fuhr er heimlich mit der linken Hand unter die Karte, zog die von Spanien an sich heran, ließ sie unter dem Hemd verschwinden, klemmte sie in den Hosenbund. Der andere stand noch immer da, und schon wieder blickte er herüber. Jonas faltete die Karte von Schweden zusammen, nahm sie in die Hand und ging zur Kasse.
    „Ich möchte gerne diese Karte haben“, sagte er, „aber ich habe nur…“ Er hielt der Kassiererin einen Zehnmarkschein hin. Sie sah auf den Schein, dann schüttelte sie den Kopf.
    „Ich darf kein ausländisches Geld annehmen.“
    „Schade“, sagte Jonas.
    „Im obersten Stockwerk ist eine Bankfiliale“, sagte die Verkäuferin, „bestimmt kannst du dort wechseln. Aber beeil dich, wir schließen bald.“
    „Danke schön. Ich laß sie solange hier, ja?“ Jonas legte die Karte neben die Kasse und ging zur Rolltreppe.
    „Halt, stehengeblieben!“ ertönte eine scharfe Stimme hinter ihm. Das Herz rutschte Jonas in die Hose. Zum Glück rutschte die Landkarte nicht aus der Hose heraus, als Jonas vor Schreck ganz tief einatmete. Er blieb stocksteif stehen, wartete darauf, daß eine Hand sich auf seine Schulter legte. Nichts geschah. Jonas drehte sich um.
    Er war gar nicht gemeint. Nicht er, sondern der Mann, der ihn die ganze Zeit beobachtet hatte! Das war kein Warenhausdetektiv gewesen, sondern ein Dieb. Der Detektiv war ein unscheinbarer, älterer Mann mit einem Einkaufsbeutel in der Hand, der den anderen jetzt am Oberarm packte und wegführte. Jonas verspürte den Drang loszurennen, aber er zwang sich, ganz langsam zur Rolltreppe zu gehen. Er überzeugte sich, daß die Kassiererin nicht zu ihm herüberblickte, dann fuhr er nach unten. Er schlotterte am ganzen Körper, als habe er Fieber. Er mußte sich unbedingt einen Augenblick hinsetzen und verpusten.
    Er ging die lange Front des Kaufhauses entlang, ohne einen Blick in die Schaufenster zu werfen, bog um die Ecke, ging über die kleine Straße, hockte sich auf die Stufen vor dem nächsten Haus, schloß die Augen und atmete tief durch. Nie wieder würde er etwas stehlen, das war sicher.
    „Ist was?“ fragte eine Männerstimme. Jonas fuhr zusammen. Ein Polizist stand vor ihm. Dann sah er, wo er sich zum Ausruhen hingesetzt

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