Der Hausflug
Stuhlbeine. Jonas weinte. Vor Schmerz, vor Wut, vor Verzweiflung. Dicke Tränenströme rannen über seine Wangen.
„Xindy“, jammerte er, „Xindy, hilf mir!“
Ein Mann in Zivil kam herein, schickte alle hinaus bis auf die beiden, die Jonas gefangengenommen hatten, ließ sich kurz berichten, dann hockte er sich vor Jonas auf den Tisch, blickte ihn mit finsterer Miene an.
„¿Quién eres? ¡Habla ya!“ Er holte mit der Hand aus, und als Jonas nicht antwortete, schlug er ihm ins Gesicht.
„¿Quién eres?“– Ohrfeige –„¿Comó llegaste aquí?“– Ohrfeige –„¿Qué quieres aquí?“– Ohrfeige –„¡Abrete la boca ya!“ 3
„Ich verstehe nicht, ich bin Deutscher“, stammelte Jonas und bekam erneut eine Ohrfeige, seine Wangen brannten wie Feuer. „Deutscher“, schrie er noch einmal. Was, um Himmels willen, hieß das auf spanisch? „German“, stieß er hervor, „Nemetzki, Alleman.“ Einer der beiden Uniformierten sagte etwas zu dem Zivilisten. Er redete ihn mit „El Jefe“ an, war das der Name des Zivilisten? El Jefe nickte, der Uniformierte stellte sich neben ihn, sah Jonas an.
„Ich verstehe deutsch“, sagte er, „ich habe in Deutschland gearbeitet, aber ich spreche deine Sprache nicht gut, verstehst du?“
„Ja“, sagte Jonas. Er war heilfroh, daß ihn einer wenigstens verstand. Und daß der Mann nicht jeden Satz mit einer Ohrfeige unterstrich wie der andere.
„Das ist El Jefe“, sagte der Uniformierte, „der Chef. Und ich bin Ramirez, Soldat, verstehst du?“
„Soldat?“ fragte Jonas. „Ist das hier nicht ein Bergwerk?“
„Ja, Bergwerk“, sagte Ramirez. „Streik, verstehst du? Wir bewachen das Bergwerk. Streikende wollen…“ Er suchte nach dem deutschen Wort, „besitzen“.
„Wegnehmen?“ sagte Jonas. „Enteignen?“ Ramirez lachte.
„Nein, nicht besitzen, besetzen.“
Jetzt war alles klar. Streikende, das wußte Jonas, besetzten oft die Betriebe, um die Eigentümer zu zwingen, ihre Forderungen zu erfüllen. Ramirez übersetzte seinem Chef, was er Jonas erklärt hatte.
„El Jefe will wissen, wo du herkommst. Wie du auf das Werkgelände gekommen bist. Was du hier willst.“
Wie sollte er das erklären! Die Wahrheit würde keiner glauben, El Jefe, der ihn mit finsterer Miene anstarrte, schon gar nicht.
„Ob Sie es glauben oder nicht“, sagte Jonas, „ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin.“
Ramirez übersetzte, El Jefe lachte laut auf und schlug Jonas mit beiden Händen zugleich auf die Ohren. Ein entsetzlicher Schmerz durchzuckte ihn, sein Schädel dröhnte, als wolle er zerspringen. El Jefe schrie etwas, Ramirez übersetzte es mit versteinertem Gesicht, leise, kaum zu hören, es schien, als verabscheue er die Brutalität seines Chefs, aber das half Jonas nichts.
„So, das weißt du nicht?“ übersetzte Ramirez, und wieder schlug El Jefe Jonas auf die Ohren. Er schrie laut auf, zerrte an den Handschellen, versuchte, den schon wieder erhobenen Händen auszuweichen.
„Nicht“, jammerte er, „bitte, bitte nicht. Bitte…“
„Sag es doch, sprich, hör auf mich“, redete Ramirez auf ihn ein. „Er schlägt dich kaputt, er ist ein brutaler Mensch, alle nennen ihn nur El Maton, den Raufbold.“ El Jefe grinste über das ganze Gesicht, als er seinen Spitznamen hörte.
„Ich weiß es doch nicht“, sagte Jonas. „Ihr müßt mir glauben, ich weiß es wirklich nicht, ich…“ Ein brennender Schmerz fuhr durch seinen Körper, Jonas bekam nicht einmal mit, woher. Er hatte sich noch nicht von dem Schmerz erholt, da durchzuckte ihn erneut dieses entsetzliche Brennen, Stechen. Immer wieder. Jonas schrie nur noch, er hörte nicht mehr, was Ramirez sagte, dann schwanden ihm die Sinne.
Das sechzehnte
Wo bleibt Xindy? – Die rettende Idee
El Jefe lernt fliegen
Jonas erwachte. Alles tat ihm weh. Er konnte nicht einmal einen Finger rühren, ohne vor Schmerz zu schreien. Und kaum die Augen öffnen. Das Gesicht schien völlig verschwollen zu sein. Er führte ganz langsam und vorsichtig die Fingerspitzen an die Wange, zuckte sofort zurück, so weh tat es.
Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, nahmen zuerst Schatten, dann verschwommene Umrisse wahr. Er befand sich in einem Keller; dicht unter der Decke gab es ein Fenster, mehr eine Luke, mit Brettern vernagelt, durch deren Ritzen ein wenig Licht fiel. War es bereits Tag? Vielleicht lag er schon tagelang hier? Er mußte schluchzen.
Nicht jammern! herrschte er
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