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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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meiner Hand. Beide waren völlig fehl am Platz in diesem stinknormalen Schlafzimmer. Jetzt musste ich zügig handeln, sonst würde mich die Reue packen.
    Â»Hast du einen Beutel?«, fragte ich.
    Ahti fand im zerwühlten Kleiderschrank einen kleinen schwarzen Rucksack, der so gewöhnlich, fast wie ein Turnbeutel aussah, dass er einen verwirrend scharfen Gegensatz zu dem Inhalt bildete, den er beherbergen sollte.
    Â»Als Draufgabe.«
    Ich gab ihm das Geld, er stopfte es ungezählt in die Hosentasche, ohne mich anzusehen. Ich starrte noch immer auf die Pistole und die Munitionsschachtel. Ahti bemerkte meine Verwirrung.
    Â»Ich zeige es dir«, sagte er mit einem Lachen und nahm mir die Waffe ab.
    Mit geübten raschen Bewegungen entnahm er das Magazin, füllte es mit Patronen aus der Schachtel und schob es wieder zurück. Er war in seinem Element.
    Â»Fertig«, sagte er. »Hier ist die Sicherung und hier der Abzug. Vergiss nicht, nur auf jemanden zu zielen, wenn du wirklich schießen willst. Falls das noch eine Rolle spielt.« Er versuchte zu lächeln, aber das Lächeln hatte keine Kraft, es gefror ihm auf den Lippen und ließ seine Miene hilflos wirken. Er bemerkte es selbst. »Der Kaffee wird kalt, gehen wir rüber«, sagte er rasch.
    Wie plötzlich hatte sich alles verändert. Wie lange war es her, da hatten wir gemeinsam zu Abend gegessen, Wein getrunken, Zukunftspläne geschmiedet: wohin wir in den Urlaub fahren würden, wie ich neue Bücher und Johanna noch bessere Artikel schreiben und wann Ahti seine eigene Anwaltskanzlei und – natürlich und unbedingt – zusammen mit Elina eine Familie gründen würde.
    Obwohl sich die Veränderung langsam und allmählich in unser aller Leben geschlichen hatte, waren wir in der jetzigen Situation doch blitzschnell gelandet, Hals über Kopf.
    Elina saß im Sessel, den unberührten Kaffeebecher vor sich auf dem Tisch. Ich sank aufs Sofa und suchte nach Worten, was nicht einfach war, denn für mich gab es nur ein Thema.
    Ahti schien das zu spüren: »Hoffentlich findest du Johanna«, sagte er.
    Ich begriff, dass es das Einzige auf der Welt war, was ich mir wünschte. Ich erkannte es mit einer Klarheit, die mich durchdrang wie Wärme oder Kälte und mir urplötzlich all das Gute vor Augen führte, das ich womöglich verlieren würde. Ein Kloß stieg mir in die Kehle, ich musste raus aus der Wohnung.
    Â»Ich hoffe, dass es euch in Norwegen gefällt«, sagte ich. »Und dass dort alles gut wird. Ganz bestimmt wird es das. Ein Jahr ist eine lange Zeit, ihr findet Arbeit und verdient Geld. Es wird klappen.«
    Meinen Worten fehlte etwas Entscheidendes, und der Inhalt war nicht der größte Mangel. Ich hatte den Eindruck, dass wir alle es hörten und vor allem spürten. Ich wusste nicht, wie lange ich überhaupt noch würde reden können, also stand ich auf, ohne auch nur in Ahtis oder Elinas Richtung zu blicken.
    Â»Johanna wird dich anrufen, sobald sie kann«, sagte ich zu Elina.
    Als ich in den Flur ging, kam Ahti hinterher und blieb wie mit Absicht in der dunkelsten Ecke stehen. Dann hörte ich Elinas Schritte auf den Fußbodendielen, und gleich darauf stand sie vor mir, wieder mit Tränen in den Augen.
    Sie trat dicht an mich heran und umarmte mich. »Sag Johanna, dass alles gut ist«, bat sie und fügte, die Arme immer noch um mich geschlungen, hinzu: »und dass wir nie in irgendeiner Weise Böses beabsichtigt haben.«
    Ich verstand nicht, worauf sie damit anspielte, wollte aber nicht länger bleiben und fragte deshalb nicht nach.

    6 Der Regen war noch stärker geworden. Er peitschte in breiten Schlägen vom Himmel herunter, stürzte in dicken, schweren Tropfen auf den Asphalt und drosch wie entfesselt auf die Stadt ein, die schwarzglänzend dalag. Er roch irgendwie säuerlich, fast vergammelt. Ich stand eine Weile im Torweg und versuchte meine nächs­ten Schritte zu planen, mir zu überlegen, wo ich war und wohin ich wollte. Es war halb zehn am Abend, meine Frau war verschwunden, und ich hatte zahllose Tassen schwarzen Kaffee getrunken, ich würde garantiert nicht schlafen können.
    Statt des Lachens von vorhin hörte ich jetzt laute aufgebrachte Stimmen im Streit, das spitze Klirren splitternden Glases und gleich darauf den kreischenden, von Flüchen begleiteten Protest jener Frau, die vorhin gelacht

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