Der heilige Schein
über die Situation spricht.
Stattdessen macht man es zur offiziellen Regel, dass es homosexuell veranlagte Priester in der katholischen Kirche im Grunde genommen überhaupt nicht geben darf. Der Schein, der nach außen hin erzeugt werden soll: Unsere Kirche besteht aus »gesunden«, potentiell heterosexuellen Klerikern.
Auch unter den Laien innerhalb der katholischen Kirche gibt es selbstverständlich Homosexuelle, und das wissen die Kirchenoberen genau. Diese Laien leben in einer Welt, in der Homosexualität weitgehend akzeptiert ist; in etlichen Staaten werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften in vieler Hinsicht sogar mit der Ehe gleichgestellt. Dieser Realität begegnet die Kirche, indem sie sich zwar formal zu Takt und Respekt gegenüber der homosexuellen Veranlagung verpflichtet, die homosexuelle Praxis gleichzeitig aber als schwere Sünde verteufelt. Da man, wie zuletzt mein Ausschluss aus der Päpstlichen Thomas-Akademie gezeigt hat, offenbar davon ausgeht, dass die Trennung von Veranlagung und Praxis ohnehin realitätsfremd ist, weil sich kaum ein katholischer Homosexueller daran hält, geht man zunehmend dazu über, Homosexualität als solche zu verdammen.
Diese Verurteilung nimmt neurotische Formen an, wenn ein gesellschaftliches Randphänomen wie die Homosexualität in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und zur Wurzel allen Übels, zur Ursache der aktuellen Glaubens- und Kirchenkrise erklärt wird. Der gegenwärtige Papst geht hier mit seiner »panischen Angst vor Schwulen« [62] - so der Theologe Christian Feldmann - als Negativvorbild voran.
Die diskriminierenden Richtlinien für Priester aus dem Jahr 2005 werden inzwischen zunehmend auch auf Laien angewendet. Eine nicht näher definierte »Nähe zum homosexuellen Milieu« genügt dann schon, um sie aus kirchlichen Ämtern zu entlassen. Dieses willkürlich einsetzbare Mittel soll das Bild einer in zölibatären Träumen entstandenen Scheinwelt konservieren helfen, einer Welt, die - neben der über alle Zweifel erhabenen Priesterkaste - aus Laien besteht, die in ebenso glücklichen wie unauflöslichen Ehen mit vielen Kindern leben, fernab von künstlicher Empfängnisverhütung und sexueller Untreue.
Die Folgen des Kreuzzugs für eine Kirche des heiligen Scheins sind im Laufe unserer Reise durch die katholisch-konservativen Milieus deutlich geworden: Nach außen hin kann der schöne Schein seine positive Wirkung nicht mehr entfalten, weil er als Scheinheiligkeit entlarvt ist und die Menschen sich enttäuscht von der Kirche abwenden. Und nach innen entsteht ein zerstörerisches Klima der Unehrlichkeit, der Heimlichtuerei und Vertuschung.
Im Zusammenhang mit der Verdammung der Homosexualität sind die primär Leidtragenden die schwulen Kleriker. Das Klima repressiver Scheinheiligkeit wirkt sich nicht selten geradezu fatal auf die Psyche der Betroffenen aus. Dabei sind drei Aspekte von Bedeutung: Bei sensibleren, frommen Priestern und Ordensleuten erzeugt die offiziell verordnete Homophobie oft schwere Skrupel, schließlich hat der Papst ihnen überdeutlich ins Stammbuch geschrieben: Ihr habt euch, zum Schaden der gesamten Kirche, das Allerheiligste angeeignet, obwohl es euch aufgrund eurer sündhaften Veranlagung nicht zusteht Pastoralpsychologen haben aufgezeigt, dass solche Skrupel zu einer Fixierung auf das Thema Sexualität und zu einem Hass auf Mitmenschen führen können, die ihre Sexualität selbstbewusst und ohne Schuldkomplexe ausleben. Hinzu kommt, dass sich eine überproportionale Gewichtung der Sexualität hemmend auf den religiösen wie persönlichen Reifungsprozess eines Menschen auswirken kann. Vor diesem Hintergrund dürften die vielen Fälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker und auch die extreme Homophobie ultrakonservativer Kreise besser erklärbar werden.
Andere Geistliche ziehen sich in schwule Klerikerszenen zurück, wo Sexualität ausschließlich an anonymen Orten und mit wechselnden Geschlechtspartnern ausgelebt wird. Durch dieses flüchtig-anonyme Sexualleben sind die Betreffenden von Seiten ihres Bischofs weniger angreifbar als Geistliche, die versuchen, in einer langfristigen Beziehung mit einem anderen Mann zu leben, was sich auf Dauer kaum verstecken lässt. Im Grunde genommen sind die Regeln der heiligen Scheinwelt des Katholizismus auf diesem Gebiet ungewollt darauf angelegt, polygamen, anonymen (oft auch ungeschützten) Sex mit all seinen Risiken für die seelische und körperliche Gesundheit zu fördern und
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