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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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dauerhafte Beziehungen zu verhindern.
    Dazu passt, dass eine amerikanische Zeitung im Januar 2000 die Ergebnisse umfangreicher eigener Recherchen veröffentlichte, denen zufolge Hunderte katholische Priester in den Jahren zuvor an Aids verstorben und mehrere Hundert weitere mit dem HI-Virus infiziert seien. Eine Situation, die man auf die europäischen Verhältnisse wird übertragen können, da Safer Sex hier noch weitaus lockerer gehandhabt wird als in den Vereinigten Staaten. Die Recherchen brachten auch ans Licht, dass man von Seiten der Kirche peinlich darum bemüht war, die wahre Todesursache jeweils zu vertuschen. Die Rheinische Post vom 30. Januar 2000 führte als besonders eklatantes Beispiel den Fall des New Yorker Bischofs Emerson Moore an: »Er verließ sein Amt 1995, um in einem Hospiz in Minnesota zu sterben. Auf seinem Totenschein sei er als Arbeiter bezeichnet worden, der an »unbekannten natürlichen Ursachen gestorben sei.«
    Inzwischen müssen, dank des medizinischen Fortschritts, in der »Ersten Welt« kaum noch Menschen an Aids sterben, eine andere, mindestens ebenso schwerwiegende Folge des kirchlichen Umgangs mit Homosexualität ist damit allerdings nicht behoben: das Problem der Einsamkeit, an der viele Priester seelisch zugrunde gehen. Das gilt natürlich auch für homosexuelle katholische Laien, die dazu verdammt sind, allein zu bleiben. Peter Bürger hat in seinem Beitrag auf der Internetseite der »Initiative Kirche von unten« darauf hingewiesen, dass psychische Störungen bei homosexuellen Geistlichen, zum Beispiel Sexsucht oder schwere Depressionen aufgrund von ausschließlich anonymem Sex, nicht der homosexuellen Veranlagung an sich zuzuschreiben sind. Neueren Studien zufolge gehen sie, so Bürger, »vielmehr ausnahmslos zurück auf Schizophrenien und Repressionen, die den unerlösten kirchlichen Umgang mit der Homosexualität betreffen«.
    Ein dritter Aspekt, der sich belastend auf die betroffenen Geistlichen auswirkt, ist die Tatsache, dass die Kirchenoberen das Wissen um deren Homosexualität häufig mehr oder weniger subtil zur Erhaltung der eigenen Macht einsetzen. Nichts eignet sich besser dazu, die Loyalität eines Mitarbeiters oder Untergebenen sicherzustellen, als eine mit möglichst schweren Vergehen gefüllte, geheime »schwarze Akte«.
    Überhaupt wird man im Blick behalten müssen, dass das hartnäckige Festhalten am heiligen Schein viel mit Macht zu tun hat. Nicht nur, dass der Tanz um dieses goldene Kalb die klerikale Macht nach innen stabilisiert oder dort wiederherstellt, wo sie in Gefahr geraten ist. Der heilige Schein wird auch als Rechtfertigung eines Machtanspruchs nach außen gebraucht. Ein Papst, der zusammen mit seinen Kardinalen und Bischöfen in Anspruch nimmt, »Stimme der moralischen Vernunft der Menschheit« [63] zu sein, kann es sich nicht leisten, eine Institution zu leiten, in der Unmoral herrscht und gegen kircheneigene Regeln verstoßen wird. So ist es verständlich, dass es kaum ein größeres Vergehen gibt, als den heiligen Schein zu zerstören. Nicht der schwule Theologe oder Priester an sich bedeutet eine Gefahr für das System, sondern nur derjenige, der über seine Veranlagung offen spricht. Worüber man in meinem Fall folglich am meisten erschrak, war nicht meine Homosexualität - darüber war man sich ja nach eigenen Angaben schon seit vielen Jahren klar. Was zum Schock führte, war, dass ich daraus kein Geheimnis mehr machte und so zum Nestbeschmutzer wurde.
    Diese generelle Aversion der Kirchenfürsten gegen Transparenz und Offenheit wurde auch bei den Missbrauchsskandalen sehr anschaulich: Als eigentliches Problem wurden nicht die missbrauchenden Priester oder die falschen Weichenstellungen in der kirchlichen Morallehre ausgemacht. Nein, die Schuldigen wurden ganz woanders gesucht: bei den Medien, die es sich erlaubt hatten, über die Taten zu berichten. Es seien deren »falsche und unbegründete Angriffe« auf die Kirche und deren Vertreter in der Öffentlichkeit, die den Skandal hochgekocht hätten - so Papst Benedikt XVI. im August 2010 in einem Schreiben an die rechtskonservativen amerikanischen Kolumbusritter, wie Radio Vatikan am 4. August 2010 meldete. [64] Kardinal Sodano zufolge, der am Ostersonntag 2010 auf dem Petersplatz vor einem Millionenpublikum sprach, ist es das von den Medien verbreitete »Geschwätz des Augenblicks«, das der Kirche das Leben schwermacht. Und Bischof Gerhard Ludwig Müller von Regensburg warf - ganz romtreu

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