Der heilige Schein
Vatikan zeigt sich bestürzt
Da mein freiwillig erfolgter Rücktritt nicht nur Hauke, sondern das gesamte ultrakonservative Milieu um seine Rache gebracht hatte, waren die diesbezüglichen Lüste noch ungezügelt. In Internetforen, aber auch in privaten Kreisen des Netzwerkes zeigte man sich überzeugt, dass angesichts der Schwere des Vergehens weiterer Handlungsbedarf bestehe. Zwei Ansatzpunkte boten sich an: zum einen meine kirchliche Lehrerlaubnis (Missio canonica), zum anderen mein Titel als korrespondierender Professor der Päpstlichen Akademie des hl. Thomas von Aquin.
Solche Racheakte, häufig verbunden mit Denunziationen, sind in konservativen Kirchenkreisen äußerst beliebt. Erreicht man einen theologischen Gegner argumentativ oder organisatorisch nicht (mehr), so bemüht man sich darum, die eigenen Interessen bei einer in der Kirchenhierarchie höheren Instanz durchzusetzen. Wichtigstes Mittel ist dabei in Deutschland die Missio canonica. Obwohl Theologieprofessoren und Religionslehrer vom Staat bezahlt werden, benötigen sie eine kirchliche Lehrerlaubnis, die ihnen nur vom jeweiligen Ortsbischof ausgestellt werden kann. Damit ist den Mächtigen in der Kirche ein wichtiges Instrument in die Hand gegeben, mit dem sie unliebsame Personen gefügig halten können.
Der jüngste, sehr prominente Fall einer solchen Maßregelung war der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis für Professor Michael Schulz, Ordinarius für Dogmatik an der Universität in Bonn, in den man in konservativen Kreisen große Hoffnungen gesetzt hatte und den ich bei meinem Besuch an der Gustav-Siewerth-Akademie persönlich kennengelernt hatte. Schulz wurde 2009, kurz nachdem Benedikt XVI. ihn in die Internationale Theologenkommission berufen hatte, die Missio entzogen. Grund war, dass er öffentlich eingeräumt hatte, die priesterliche Ehelosigkeit nicht mehr leben zu können. Darauf folgten sehr rasch die Suspendierung vom Priesteramt und der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis.
Einen ersten Erfolg konnten die Eiferer einige Monate später bei der Päpstlichen Akademie des hl. Thomas von Aquin verbuchen. Die langjährige Tradition, diese Institution von Dominikanern leiten zu lassen, wurde von dem sonst so traditionsorientierten Papst Benedikt mit der Ernennung von Luis Clavell zum Präsidenten der Akademie im Jahr 2009 beendet. Der Philosophiedozent Clavell ist einer der wichtigsten Vertreter des Opus Dei weltweit. Er hat den Gründer der Vereinigung noch persönlich kennengelernt und war mehrere Jahre Rektor der Opus-Dei-Universität in Rom. Als er sich 2003 ein halbes Jahr lang zu Studienzwecken in Köln aufhielt, verweilte er gerne in unserer Kölner Wohnung zum nachmittäglichen Tee.
Von Pater Clavell ist ein offizielles Schreiben der Päpstlichen Thomas-Akademie unterzeichnet, das mich Ende Juli 2010 als Einschreiben erreichte. Darin wird mir mitgeteilt, dass man mit großem Schmerz und Schrecken von meinem »Wandel im Hinblick auf einige Punkte der katholischen Moral« und meine neue Einstellung erfahren habe. Besonders bei den Professoren der Akademie habe diese schlimme Nachricht für Entsetzen gesorgt. Auch Clavell selbst missfalle außerordentlich, was er höre, und er bitte Gott um meine Bekehrung.
Das Vertrauen des Paters in die Allmacht Gottes war dann aber doch nicht so groß, wie die fromme Kulisse seiner Worte vermuten lässt. In demselben Brief heißt es, der erweiterte Vorstand der Akademie habe beschlossen, meine Mitgliedschaft in der Akademie sei nicht länger tragbar. Man teile mir deshalb mit Datum der Unterzeichnung meine Entlassung aus der päpstlichen Institution mit in der Hoffnung, dass ich mich wieder zum Guten wende.
Die mit äußerst vagen Andeutungen begründete Entlassung löste nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern zu meiner Überraschung großes Interesse aus: Nachdem die Frankfurter Rundschau Ende Juli die Meldung zuerst gebracht hatte, berichteten innerhalb weniger Tage nicht nur alle großen deutschsprachigen Zeitungen über den Vorfall. Auch El País (Spanien) und der Corriere della Sera (Italien) veröffentlichten, neben kleineren Medien in den Niederlanden, Belgien, England, Frankreich und Portugal, jeweils einen umfangreichen Bericht zu den Vorkommnissen.
Fast überall herrschte ungläubiges Staunen angesichts der Entscheidung. Genugtuung zeigten dagegen kath.net und kreuz.net , vereint mit der Piusbruderschaft, auf deren Internetseite zu lesen war:
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