Der heilige Schein
»David Berger hat seine Zukunft hinter sich. Möglicherweise wird er von der kirchenfeindlichen Presse noch eine Weile hochgejubelt, dann wird er wie viele niveaulose Kirchenkritiker in der Vergessenheit versinken.« [59] Und eines der registrierten Clubmitglieder von kath.net kommentierte: »RAUS MIT SO EINEM - je schneller umso besser. Dank an alle, die so vorbildlich reagiert haben. Wem das zu unchristlich klingt, der lese in der Heiligen Schrift nach, was über solche Unzüchtigen gesagt wird: sie haben sich bereits selbst um den Himmel gebracht! Und Gott ekelt sich vor solchem, das steht auch geschrieben - wenn auch mit anderen Worten! « [60] Es verwundert nicht, dass der Corriere della Sera klagte, die
durch meinen Ausschluss notwendig gewordene Debatte sei durch solche Internetseiten auf ein erbärmliches Niveau gesunken.
Der Hunger nach Rache war mit der vatikanischen Entscheidung bei einigen aber noch immer nicht befriedigt.
In dem kreuz.net -Beitrag vom 27. Juli 2010 zu meinem Ausschluss aus der Akademie steht am Ende: »Es ist unverständlich, warum der neokonservative Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, Berger weiterhin als Religionslehrer duldet und den katholischen Schülern einen Homo-Religionsunterricht zumutet.« In einem anderen Forum wurde daraufhin zu einer Unterschriftenaktion aufgerufen, adressiert an Kardinal Meisner, mit der Aufforderung, mir die Lehrerlaubnis zu entziehen.
Das Pikante an der Sache - das von Holland über Frankreich bis nach Spanien und Italien auch keinem der Kommentatoren entging - ist, dass die Entlassung aufgrund meines Outings erfolgte, in dem nur stand, dass ich homosexuell veranlagt bin, es ging also nur um Veranlagung, nicht um Praxis. Die sowohl moraltheologisch wie kirchenrechtlich relevante Frage, ob ich diese Veranlagung auch auslebe, blieb stets offen. Bezüglich der homosexuellen Veranlagung bei Katholiken sagt der »Katechismus der Katholischen Kirche«: Diskriminierung ist zu vermeiden, Homosexuellen ist mit Respekt und Takt zu begegnen. Der Vatikan hat mit meiner Entlassung also gegen seine offiziellen Prinzipien verstoßen.
Professor Juan José Tamayo, Dekan der Fakultät für Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Madrid, kommentierte den Vorgang einige Tage später in El Pa í s unter der Überschrift »Ominöses Schweigen, gnadenloses Verurteilen« folgendermaßen: »El cinismo vaticano no tiene limites« - »Der Zynismus des Vatikans kennt keine Grenzen.«
Ob Praxis oder nur Veranlagung, in Wirklichkeit interessierte das im Vatikan niemanden. Was tatsächlich relevant war, brachte am 3. August 2010 sehr schön ein besorgter Schreiber auf kath.net zum Ausdruck: »Herr Dr. Berger. Wenn Sie Ihre Gedanken für sich behalten hätten würden Sie weiter in Rom unterrichten. Sie sind aber der heute relativ häufig bei Homosexuellen (auch außerhalb der Kirche) anzutreffenden Neigung gefolgt, öffentlich darüber zu reden und die Lehre der Kirche zum Thema Homosexualität zu kritisieren - dann aber bitte nicht über Konsequenzen wundern. Ich habe mich schon oft gefragt, warum outen sich die Homosexuellen so häufig? Es gibt Dinge, die sind privatim und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, bestenfalls für den Beichtvater - und der unterliegt dem Beichtgeheimnis.«
Hier wird wieder genau das zur urkatholischen Devise erhoben, was, wie wir gesehen haben, so viel Schaden anrichtet: Wer in der katholischen Kirche bestehen will, muss in der bigotten Welt des heiligen Scheins mitspielen. Tut er es nicht und bricht vielleicht sogar öffentlich das Schweigen, nimmt er den Hierarchen ein wichtiges Instrument ihrer Machtausübung und muss dafür bestraft werden. Darüber darf er sich dann nicht beschweren, schließlich hat er sich den Zorn der Institution, die sich als von Gott selbst bestellte Verwalterin aller göttlichen Gnaden versteht, zu Recht zugezogen.
Die katholische Kirche am Scheideweg
Ein Aspekt zieht sich unabhängig von meinem individuellen Fall wie ein roter Faden durch dieses Buch: die zentrale Bedeutung des heiligen Scheins für die katholische Kirche und ihre Protagonisten. Viele der Ereignisse, die in den letzten Jahren bei den Menschen nur noch verständnisloses Kopfschütteln ausgelöst haben, liegen in dem Bemühen begründet, diesen Schein um jeden Preis aufrechtzuerhalten.
Dabei sollten die positiven Aspekte, die ein einheitliches Erscheinungsbild haben kann, nicht außer Acht gelassen werden. In einer
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