Der heilige Schein
dem Klerus rekrutierten Nachwuchswissenschaftler auf der anderen Seite führen dazu dass eine weltoffene Theologie im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils zunehmend verschwindet. Im Bereich der Theologie achtet man darauf, dass die Wissenschaftler sich vor allem auf die Kirchenväter der Antike und des Mittelalters stützen, was dem Antijudaismus und der Frauenfeindlichkeit im Katholizismus einen neuen Aufschwung verleiht. Eine historisch-kritische und daher relativierende Interpretation ihrer Schriften ist, wie bei der Bibel, nicht vorgesehen. Das aktuelle Lehramt des Papstes, mit Unfehlbarkeit ausgestattet, ist der einzig zugelassene Interpretationsschlüssel .
Sowohl für das kirchliche Lehramt wie für die Theologen findet ein konstruktiver Dialog mit den Hauptströmen der modernen Wissenschaft nicht mehr statt. Vielmehr stützt man sich auf exotische Randerscheinungen des Wissenschaftsbetriebes, die zum Beispiel die Evolutionstheorie durch das Buch Genesis ersetzen möchten oder nachzuweisen versuchen, dass es die Shoah nie gegeben hat und Aids erst durch den Gebrauch von Kondomen verursacht wird.
Besonders viel Mühe wird man darauf verwenden, das Priester- und Laienbild wieder in den Zustand des 19. Jahrhunderts zurückzuversetzen. Da sich aufgrund des insgesamt verklemmten Klimas nichts an der überproportionalen Gewichtung der Geschlechtlichkeit ändert, wird man peinlichst darauf achten, dass das Priesteramt weiterhin nur Männern zugänglich ist. Jede Diskussion über eine Lockerung des Zölibats wird im Kern erstickt, denn man huldigt der paradoxen Ansicht, der Zwangszölibat sei, wie Benedikt XVI. bei einer Messe anlässlich des Weltpriestertreffens am 10. Juni 2010 in Rom sagte, das »beste Gegenmittel gegen andere Skandale, die durch unsre menschlichen Unzulänglichkeiten verursacht werden«. [67] Das permanente Misstrauen und die Bespitzelung wegen eventueller homosexueller Neigungen werden in der Priesterausbildung weiterhin für ein Klima sorgen, das nicht nur psychisch besonders labile, unreife Menschen anzieht, sondern diese Eigenschaften noch zusätzlich verstärkt. Dieser charakterlich schwache und schwach gehaltene Nachwuchs fügt sich hervorragend in das starre hierarchische System ein, das durch absoluten Gehorsam nach dem Vorbild der Regeln des Opus Dei zusammengehalten wird.
Da ein solches Klima nicht nur charakterlich labile Menschen anzieht, sondern geradezu eine Brutstätte auch für sexuelle Neurosen darstellt, wird die Zahl der Sexualdelikte unter katholischen Klerikern weiter ansteigen. Der renommierte Pastoralpsychologe Wunibald Müller hat dazu am 14. Mai 2010 in der Süddeutschen Zeitung treffend festgestellt: »Wir müssen davon ausgehen, dass der Anteil der sexuell Unreifen unter den schwulen Priestern besonders hoch ist, und diese anfällig dafür sind, sexuellen Missbrauch zu begehen.«
Wie gehabt wird man unter allen Umständen versuchen, den heiligen Schein zu wahren, indem man die Situation intern regelt und das geheime Wissen als wichtigen Stützpfeiler zum Erhalt von Machtstrukturen nutzt. Dringt etwas nach außen, greift man auf die erprobte Sündenbockstrategie zurück.
Auch bei den von Zölibatären erstellten Vorschriften für Laien, die in der kirchlichen Hierarchie deutlich unter den Geistlichen rangieren, steht die Sexualität im Mittelpunkt. Hauptaufgabe der Laien ist es demzufolge, eine christliche Ehe zu führen, in der möglichst viele Kinder gezeugt und katholisch erzogen werden. Allein dieses hehre, von der Kirche mit dem Ehesakrament abgesegnete Ziel berechtigt sie, so etwas Furchterregendes wie die Sexualität überhaupt zu praktizieren. Jede künstliche Empfängnisverhütung ist vor diesem Hintergrund streng verboten, sie wird als eine schwere Sünde angesehen. Der moralische Rigorismus geht so weit, dass man hier keinerlei Ausnahmen zulassen kann, das heißt, auch Ehepaare, bei denen einer der beiden Partner eine ansteckende Krankheit wie zum Beispiel eine HIV-Infektion hat, dürfen sich nicht durch den Gebrauch von Kondomen schützen. Eine Scheidung der Ehe ist nicht möglich. Sollte dennoch eine Trennung unausweichlich sein, dürfen sich die Getrennten nie wieder in eine neue Partnerschaft oder Ehe begeben.
Anfangs wird man noch versuchen, die Politik in seinem Sinne zu beeinflussen, um die katholische Wahrheit auch Menschen zuteilwerden zu lassen, die sich ihr bisher verweigert haben. Grundrechte wie die Religions- und Meinungsfreiheit wird man
Weitere Kostenlose Bücher