Der heilige Schein
wenn die Leidenschaften ihn bedrängen. Darunter etwa ein Priestergewand aus grünem Samt, eine italienische Arbeit aus dem 16, Jahrhundert: »Die Borten waren aus roter und goldener Seide in fortlaufendem Muster gewebt und besetzt mit Medaillons von vielen Heiligen und Märtyrern, unter ihnen der heilige Sebastian. Er besaß auch Chorröcke aus bernsteinfarbener und blauer Seide, aus Goldbrokat und aus gelbseidenem Damast und Goldtuch, Dalmatiken aus weißer Seide und rosa Seidendamast und viele Messdecken, Kelchschleier und Schweißtücher.«
Wilde erklärt diese Vorliebe folgendermaßen: »In den mystischen Handlungen, denen diese Dinge dienten, lag etwas, das seine Phantasie aufstachelte.« Die Beschäftigung mit den kirchlichen Gewändern ist für Dorian paradoxerweise zugleich ein »Mittel«, seine Leidenschaften »zu vergessen«.
Wer in der neuen, eher schlichten katholischen Liturgie groß geworden ist, dem wird auffallen, dass das »Verkleiden« mit prachtvollen Gewändern und kostbaren Stoffen in der traditionellen Liturgie eine bedeutende Rolle spielt. Die Leidenschaft traditionsorientierter Kleriker für dieses »Verkleiden« und ihre Bereitschaft, dafür auch große Geldsummen aufzuwenden, ist kein Geheimnis. Im traditionellen Pontifikalamt ist das Ankleiden des Bischofs von seinem Thron aus sogar Teil der Liturgie, der vor den Augen der Gläubigen, begleitet von Gesängen, nach festem Ritual vonstattengeht.
Auch mich beeindruckten diese Gewänder schon als Kind und weckten in mir den Wunsch, Priester zu werden. Ein mit der Familie gut befreundeter Geistlicher schenkte mir daraufhin zu jedem Weihnachtsfest und jedem Geburtstag ein mit reicher Ornamentik in vornehmen Farben besticktes Messgewand, eine schöne Beichtstola mit reichverziertem Manipel, einen prachtvollen Chormantel, auf dem mit Goldfaden in Frakturbuchstaben groß »IHS« (Jesus Hominum Salvator = Jesus Retter der Menschen) eingestickt war. Alles Dinge, die man in diesen wilden Jahren des Freikämpfens von miefigen, mit Unterdrückung verbundenen Traditionen ohnehin häufig entsorgt hätte und die so erhalten geblieben sind.
Als die Gewänder nach meinem Verzicht auf den Priesterberuf und meinem Entschluss, homosexuell zu leben, ihre Funktion der Sublimierung bei mir längst eingebüßt hatten, versuchte ich sie vor etwa fünfzehn Jahren in »gute Hände« abzugeben. Dabei machte ich eine überraschende Entdeckung: Fast alle, die nun zur Besichtigung bei mir zu Hause vorbeikamen und ihr nachhaltiges Interesse anmeldeten, waren schwule Männer oder sedisvakantistische »Geistliche«.
Einen der Homosexuellen lernte ich bei der Verkaufsaktion näher kennen. Er war einige Zeit im Priesterseminar der Petrusbruderschaft gewesen, wo ausschließlich die alte Liturgie zelebriert wird, hatte das Seminar aber aufgrund seiner Veranlagung, mit der er verhältnismäßig offen umgegangen war, verlassen müssen. Daraufhin baute er gemeinsam mit anderen Klerikern in Bonn eine Art Gemeinde auf, in der ausschließlich die alte Liturgie gefeiert wurde, und zwar mit Billigung der ordentlichen kirchlichen Autorität, in diesem Fall des Erzbischofs von Köln. Seine persönliche Leidenschaft war das Sammeln seltener liturgischer Bücher und Gewänder. Vor allem über Internetauktionshäuser ersteigerte er einen ganzen religiösen Kostümfundus, der einer Domkirche gut angestanden hätte.
Unter demselben Namen ersteigerte er bei eBay aber auch Gegenstände, die seiner zweiten großen Leidenschaft neben der Liturgie dienten: erotischen Abenteuern. Fast jeder im traditionalistischen Lager wusste das, aber da es offiziell nicht bekannt wurde, ließ man ihn gewähren. Man konnte ihn gebrauchen: Unter dem Schutz des heiligen Scheins der katholischen Kirche erstellte er die wichtige Edition eines liturgischen Buches, des Nocturnale Romanum, und betreute die Internetseite der deutschen Una Voce , einer Organisation, die sich den Kampf für alte Liturgie und Rechtgläubigkeit auf die Fahnen geschrieben hat und für deren Zeitschrift er ebenso Beiträge verfasste wie für das Organ des »Päpstlichen Liturgischen Instituts«. Im Jahr 2005 starb er im Alter von dreiunddreißig Jahren an einer heimtückischen Krankheit.
Es gehört mit zur Verlogenheit der ganzen Geschichte, dass der Eintrag des offen schwul lebenden Bundestagsabgeordneten Volker Beck sehr schnell aus dem virtuellen Kondolenzbuch, das Freunde der klassischen Liturgie daraufhin eingerichtet hatten,
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