Der heilige Schein
Überreste in die Bundeshauptstadt veranstaltete er als medienwirksame Aktion, die sich des reichen Zulaufs von Sympathisanten religiöser Delikatessen traditionalistischer Provenienz sicher sein konnte. Um das erste vollständige Reliquiar eines Heiligen in Berlin würdig zu begrüßen, wurden Traditionalisten aus Süd- und Westdeutschland in die Hauptstadt gekarrt. Sie bildeten den würdigen Rahmen für die Überführung des goldgerahmten Glassargs, der schnell zur Hauptattraktion der Piuskapelle wurde.
Wie sehr im traditionalistischen Katholizismus homophile Tendenzen zum Tragen kommen, lässt sich an einem delikaten Beispiel deutlich machen: Während die Katholiken der erneuerten Liturgie am 1. Januar das Hochfest der Gottesmutter Maria begehen, halten die Traditionalisten kompromisslos am mittelalterlichen Brauch des Festes der Beschneidung Christi fest. Im Mittelpunkt steht hier die Verehrung einer der denkwürdigsten Reliquien des christlichen Abendlandes, des Präputiums, der Vorhaut Jesu. Da Christus der Bibel zufolge mit seinem irdischen Leib in den Himmel aufgefahren ist, besitzen wir von seinem Körper lediglich als Reliquie, was er zurückgelassen hat. Und weil er als Jude - mit Sicherheit beschnitten wurde, konzentrierte sich der frühmittelalterliche Reliquienkult sehr schnell auf diese Reliquie. Mehr als zehn Kirchen des Abendlandes beanspruchten bis in die Neuzeit, die »wahre Vorhaut« Jesu zu besitzen und den Gläubigen »zum Kuss der Verehrung darzureichen«. In Rom gab es bereits unter Papst Pius XII. Bestrebungen, die blühende Verehrung dieser Reliquie einzuschränken. Ihren feurigsten Verteidiger fand sie bezeichnenderweise in dem französischen Romancier Peyrefitte, Freund der traditionellen Liturgie sowie Frankreichs bekanntester Pionier der Homosexuellenliteratur. Es sei noch erwähnt, dass die illustre Reliquie im Jahr 1983 aus ihrem eigentlichen Aufbewahrungsort im nahe Rom gelegenen Calcata auf rätselhafte Weise verschwand.
Die Gründe, die hier für die Anziehungskraft der traditionellen Liturgie auf Homosexuelle genannt wurden, mögen auf den ersten Blick ein wenig weit hergeholt erscheinen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die beiden Welten durchaus etwas verbindet. So begegnen uns in der tridentinischen Messe Zeichen und Rituale, die den Menschen heute als Elemente einer religiösen Ästhetik kaum mehr präsent sind, zum Beispiel das Küssen von Wäsche- oder Körperteilen eines Heiligen, dafür aber in der homosexuellen Erotik, besonders in der Fetischszene, nach wie vor eine große Rolle spielen. Hier ist es dann eben nicht der Fuß des Heiligen Vaters, der geküsst wird, sondern der Lederstiefel des »Meisters«, wobei beide Rituale als Zeichen freiwilliger Unterwerfung zu deuten sind.
Homosexuell veranlagten Priestern, die ihre Sexualität nicht ausleben können, gelingt über die Ästhetik der traditionellen Männerliturgie mehr oder weniger bewusst eine Sublimierung ihrer erotischen Gefühle. Hier handelt es sich geradezu um ein Musterbeispiel der Sublimierung, werden doch gesellschaftlich (hier kirchlich) unerwünschte Triebwünsche in eine kultisch anerkannte, ja, ausdrücklich vorgeschriebene Verhaltensweise umgelenkt. Homosexuelle Sublimierung erscheint in diesem Zusammenhang dann nicht nur als Wurzel und dauerhafte Nahrung des traditionellen katholischen Kultes, sondern auch als Abwehrmechanismus, der die unter den Freunden des klassischen Ritus und Gegnern der Liturgiereform verbreitete Homophobie gut erklären würde.
Meine zahlreichen Kontakte zu traditionell orientierten Priestern jeden Ranges haben mir dies immer wieder bestätigt. Auch der bereits erwähnte, aktuell gültige »Katechismus der Katholischen Kirche« fordert fast schon zu einer solchen Sublimierung auf, wenn er die homosexuelle Neigung wohl toleriert, deren Ausübung aber als Sünde verurteilt, der es durch Gebet und Sakramente vorzubeugen gelte.
Chorröcke aus bernsteinfarbener und blauer Seide
Ein weiterer, zunächst ebenfalls mehr äußerlich erscheinender Aspekt erschließt sich bei der Lektüre von Oscar Wildes Bildnis des Dorian Gray. An einer Stelle des Romans kommt der homosexuelle Wilde auf ein Hobby seiner autobiographische Züge tragenden Hauptperson zu sprechen: Dorian hat eine besondere Leidenschaft für alle Gegenstände, die mit dem katholischen Kult Zusammenhängen, besonders für die kirchlichen Gewänder, die er in großer Zahl sammelt und immer wieder betrachtet,
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