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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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Internetseite Gayromeo, Europas größtem sozialem Netzwerk für homosexuelle Männer, sehr schnell ein eigener Club mit dem Namen »Pro Missa Tridentina « gründete. Als Vorschaubild diente eine Gebrauchsgrafik aus dem 19. Jahrhundert, die den bewusst mit kitschigen Stereotypen arbeitenden französischen Künstlern Pierre et Gilles alle Ehre gemacht hätte. Auf dem Bild feiert ein junger, attraktiver Priester zum Altar gewendet die Messe und trinkt aus dem Kelch, in den vom blutüberströmten Leib Jesu, der sich vom Kreuz her zu ihm niederbeugt, Blutstropfen fallen. Im Forum des Clubs tauschte man sich eifrig über außergewöhnliche Pontifikalämter im alten Ritus aus, bildete Fahrgemeinschaften zu traditionellen Wallfahrtsorten, informierte sich gegenseitig über Reliquienversteigerungen bei eBay, Geistliche aus dem traditionalistischen Spektrum und so weiter.
    Nach Streitigkeiten löste sich die illustre Gruppe wieder auf, aber bis heute gibt es bei Gayromeo einen Club mit dem Namen »Römisch-katholisch«, dem nur schwule römisch-katholische Christen beitreten dürfen, die auf jede Kritik an Papst und Bischöfen sowie der katholischen Kirche insgesamt verzichten und die traditionelle Liturgie bevorzugen. Der Club wird von Köln aus verwaltet und ist unter den religiösen Clubs bei Gayromeo einer der mitgliederstärksten .
    Nun stellt sich natürlich die Frage, welche Aspekte der traditionellen Liturgie eine derartige Anziehungskraft auf schwule Männer ausüben.
    Zuallererst handelt es sich hier um eine ganz eigene Ästhetik des Männlichen, wie wir sie in analoger Form auch beim Militär und bei manchen Sportarten antreffen. Durch das absolute Verbot von Ministrantinnen, Pastoralassistentinnen, Messnerinnen , Kommunionausteilerinnen und Lektorinnen »entstellt« kein weibliches Wesen das schöne Bild der reinen Männerwelt. Gelegentlich leuchtet ein Bild Marias auf, sie hat aber als Mutter und keusche Jungfrau zugleich keinerlei Berührung durch einen Mann gekannt und kann so als asexuelles Konstrukt der verschworenen Männergemeinschaft nicht gefährlich werden. Dazu passt meine Beobachtung, dass gerade bei homophilen Klerikern ein fast abergläubischer Marienkult besonders verbreitet ist. Als wolle man posthum der Psychoanalyse ein Exempel für ihre Entstehungstheorie der Homosexualität schenken, steht dabei Maria als königliche Mutter und mächtige Herrscherin des Himmels, der sich der Priester als ihr geliebter Sohn gehorsam unterwerfen möchte, im Mittelpunkt. Sieht doch die auf den Spuren Sigmund Freuds wandelnde Psychoanalyse eine starke Fixierung des jungen Mannes auf seine dominante Mutter als wichtigen Faktor, der die homosexuelle Veranlagung entscheidend verstärke.
    In der tridentinischen Liturgie gibt es, wie bereits erwähnt, einerseits eine klare Hierarchie mit Über- und Unterordnungen. Aber es gibt auch Zeichen tiefer, fast schon zärtlicher Verbundenheit der Männer untereinander wie den Hand-, Pax- und Fußkuss, die Fußwaschung, die der Bischof am Gründonnerstag an ausgewählten Priestern seiner Diözese vornimmt, das Gehorsamsversprechen des Priesters seinem Bischof gegenüber, das begleitet wird von einem Ritus, der dem der Eheschließung sehr ähnlich ist: Der Neugeweihte legt seine gesalbten Hände in die Hände des Weihbischofs.
    Zu den Aspekten des traditionellen Katholizismus, die homosexuelle Gläubige besonders faszinieren, gehört auch die vom traditionalistischen Klerus eifrig betriebene Reliquienverehrung . Exemplarisch sei hier der Fall des Berliner Prälaten Gerald Gösche geschildert, der 2001 einen besonderen Coup landete. Damals arbeitete er noch für die Piusbruderschaft, zwei Jahre später gründete er in Berlin jedoch seinen eigenen traditionalistischen Orden, das »Institut St. Philipp Neri«. Dies geschah mit ausdrücklicher Unterstützung des damaligen Kardinals Ratzinger und unter der Regie des an der Kurie tätigen Kardinals Castrillón Hoyos, der zu jener Zeit als »papabile«, als erfolgversprechender Nachfolger Johannes Pauls II., galt. Die Neugründung wurde deshalb durch den Berliner Kardinal Sterzinsky freundlich aufgenommen und mit Spendengeldern aus dem staatlich anerkannten Hilfswerk »Kirche in Not« finanziell gefördert.
    Doch zurück zu den Reliquien: Auf etwas mysteriösem Wege war Prälat Gösche in den Niederlanden an die Reliquien des heiliggesprochenen Koreamissionars Simeon Franziskus Berneux gekommen. Die Überführung der sterblichen

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