Der heilige Schein
diplomatische Regeln eifrig vorangetrieben. Unter diesen Bischöfen war auch der Holocaustleugner Williamson. Und obwohl Hoyos bereits im November 2008 von dem schwedischen Bischof Aborelius über Bischof Williamsons Holocaustleugnung unterrichtet worden war, wurde die Exkommunikation im Januar 2009 aufgehoben. Nachdem es zu weltweiten Protesten gegen diese Entscheidung kam, erklärte Hoyos, er habe vom Antisemitismus Williamsons nichts gewusst.
Auch alles, was sonst im integralistischen deutschen Katholizismus Rang und Namen hatte, ja selbst der nicht im Ruf des Konservativismus stehende damalige Bischof von Münster, Reinhard Lettmann, waren auf der Tagung in Münster zugegen.
Nach meinem Vortrag kamen zwei ältere Herren zu mir und fragten mich, ob ich die Herz-Jesu-Medaille trüge. Wahrheitsgemäß antwortete ich, dass ich von dieser Medaille noch nie etwas gehört hätte. Das Entsetzen war groß, denn, so sagten sie, nur als Träger dieser Medaille komme man garantiert in den Himmel und sei vor dem Teufel sicher. Nicht, dass ich die beiden etwas schräg auftretenden und argumentativ wenig überzeugenden Herren ernst genommen oder ihnen eine solche Medaille abgekauft hätte, aber von da an war mein Interesse an der Herz-Jesu-Frömmigkeit geweckt. Ich begann mich mit der Geschichte und gegenwärtigen Praxis dieser Art von Volksfrömmigkeit näher zu beschäftigen.
Ihre eigentliche gesamtkirchliche Hochkonjunktur erlebte die Herz-Jesu-Frömmigkeit im 19. Jahrhundert, wo sie das spirituell-künstlerische Gegenprogramm zu Protestantismus, Aufklärung und antimodernem Kulturkampf bildete. Gegen demokratische, liberale Tendenzen veranstaltete man monarchistisch ausgerichtete »Herz-Jesu-Thronerhebungen«. Der letzte Papst, der die Herz-Jesu-Verehrung in diesem Sinne propagierte, war der 1958 verstorbene Pius XII. Mit dem Ende der pianischen Epoche verschwand allmählich auch der über Jahrzehnte amtskirchlich geförderte Herz-Jesu-Kult, ohne dass ihn jemand vermisst hätte.
Heute scheinen die Herz-Jesu-Verehrung und die dazugehörige Bilderwelt im Schnittfeld von traditionalistischer katholischer Volksfrömmigkeit und homosexuellem Kitsch eine ähnliche Funktion einzunehmen wie der Reliquienkult. Bei modernen Katholiken längst abgeschafft, spielen die Herz-Jesu-Bilder und -Statuen in traditionalistischen Kreisen eine wichtige Rolle: Keine Kapelle, in der die alte Messe gefeiert wird, möchte ohne ein solches Herz-Jesu-Interieur auskommen. Die deutschsprachige Sektion der Piusbruderschaft hat gar ihr Ausbildungszentrum in Niederbayern nach dem Herzen Jesu benannt, ebenso wie das traditionalistische »Institut Christus König und Hoherpriester « seinen wichtigsten Konvent in Bayerisch Gmain . Aber auch in den Häusern anderer traditionalistisch ausgerichteter Gemeinschaften finden sich Herz-Jesu-Bilder im Stil des 19. Jahrhunderts in großer Fülle. Jeder erste Freitag im Monat ist in den Gottesdienstzentren der Traditionalisten dem Herzen Jesu geweiht, und es finden spezielle Andachten statt, bei denen sich die Priester und die, die es noch werden wollen, meditativ in die Liebe des Herzens Jesu versenken. Auch gibt es eine eigene Litanei, in der das Herz Jesu als »Feuerherd der Liebe«, »Sehnsucht aller Priester« und »König aller Herzen« angebetet wird.
Der Herz-Jesu-Kult ist aber nicht nur in konservativen katholischen Kreisen verbreitet, sondern in gewissem Sinne auch unter Homosexuellen: Kaum hatte die Schwulenikone Madonna zu Beginn des neuen Jahrtausends ihr Modelabel » Immaculate Collection « auf den Markt gebracht, konnte man keinen schwulen Club mehr betreten, ohne auf eine ganze Schar junger Männer zu treffen, auf deren T-Shirts eben jener Jesus aus den Traditionalistenkapellen prangte. Mit gepflegter Föhnfrisur, gezupften Augenbrauen, leicht zur Seite geneigtem Kopf und sehnsüchtigem Blick zeigte er auf sein weit aufgerissenes Obergewand, aus welchem dem Betrachter sein durchstochenes Herz blutrot und flammend ins Auge sprang.
Selbstverständlich waren diese jungen Männer keine Traditionalisten, die sich nur verlaufen hatten. Hier begegneten sich vielmehr typisch traditionalistische, aus dem 19. Jahrhundert ererbte Volksfrömmigkeit und schwule Subkultur an einem entscheidenden Punkt, nämlich dem der Fixierung auf den vermeintlich schönen Schein, auf die stilisierte, oberflächliche Körperlichkeit. Eine Liebe zum äußeren, materiellen Schein, die das Phänomen des Kitschigen ebenso
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