Der heilige Schein
prägt wie weite Teile der homosexuellen Party-Szene in ganz Europa und den USA.
Durch das Studium der Texte von Martin Mosebach zur Liturgiereform eröffnete sich mir ein weiterer Aspekt, der traditionalistisches Liturgie- und schwules Selbstverständnis miteinander verbindet.
Der schwerste Vorwurf, der gegen die modernisierte Liturgie der katholischen Kirche ins Feld geführt wird, ist der, es handele sich dabei um eine Pädagogisierung und Moralisierung des Ästhetischen. Der Soziologe Alfred Lorenzer hat diesen Vorwurf zu Beginn der 80er Jahre zuerst ins Gespräch gebracht, und Mosebach hat ihn sehr viel später auf mehr literarisch-umschreibende Weise wieder aufgegriffen. In der Zuwendung des Priesters zu den Gläubigen und der Feier des Gottesdienstes in der jeweiligen Landessprache sehen die Kritiker die Verwandlung dessen, was zunächst einfach schön sein wollte, in eine Unterrichtsstunde, bei der die Gläubigen durch das »pausenlose Reden« des Priesters und seiner Mitarbeiter indoktriniert werden sollten. So sei, wie der Titel eines Buches von Martin Mosebach nahelegt, eine »Häresie der Formlosigkeit« entstanden.
In der alten Liturgie sei dies genau umgekehrt gewesen, statt der Belehrung habe hier die pure Ästhetik triumphiert. Das Prinzip aus dem Bereich der Ästhetik, das dem der vorkonziliaren Liturgie entspricht und diese prägt, ist demnach jenes der Kunst um der Kunst willen (»Part pour l’art«). Kunst, Kultur und Kult haben gerade keine zweckbestimmte Zielrichtung, schon gar keine, die der Ethik oder Nützlichkeit verpflichtet wäre. Sie sind, im positiven Sinne, außermoralisch und »nutzlos«. Sie sind so vollkommen, dass sie sich selbst genug sind. Die schöne Form nimmt so eine Vorrangstellung vor aller lehrreichen Inhaltlichkeit ein. Der gläubige Messebesucher soll sich nicht kritischen Gedanken hingeben oder über eine Verbesserung der Welt nachdenken, sondern ganz platonisch in der einfachen Schau des Schönen seine Erfüllung und sein Glück finden.
In der Tat habe auch ich diese grundsätzlich andere Ausrichtung der alten Liturgie früher oft als große Entlastung erlebt, besonders ab dem Zeitpunkt, an dem ich begann, als Lehrer zu arbeiten, und ein Großteil meiner Arbeit in einem kommunikativen Prozess bestand. Der Besuch der traditionellen Liturgie kann ein echter Ausflug vom Alltag sein. Hier muss man sich nicht auf das Gesagte konzentrieren, da in den »stillen Messen« ohnehin nur unhörbar gemurmelt wird. In feierlichen Hochämtern singt eine Schola, und man kann einfach das Geschehen beobachten.
In einem größeren Zusammenhang gedacht, scheint es mir kein Zufall zu sein, dass das Prinzip der Kunst um der Kunst willen von den französischen Dichtern Flaubert und Baudelaire entworfen und vor allem von Oscar Wilde und Stefan George in England und Deutschland propagiert wurde. Standen doch alle vier Künstler der gleichgeschlechtlichen Liebe - vorsichtig ausgedrückt - positiv gegenüber.
Bei dem Prinzip, das Mosebach und andere in der Liturgie verwirklicht sehen wollen, handelt es sich um genau jenes Grundprinzip, das nach Ansicht der katholischen Moraltheologie die Homosexualität prägt und so verdammenswert macht. In dieser Hinsicht war selbst der Protestant Thomas Mann gut katholisch, als er in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, seine eigenen Obsessionen kritisch betrachtend, über den »erotischen Ästhetizismus« der gleichgeschlechtlichen Liebe in seinem Essay Über die Ehe schrieb: »Es entsteht nichts aus ihr, sie legt den Grund zu nichts, ist Part pour l’art, was ästhetisch recht stolz und frei sein mag ...«
Für die katholische Kirche erhält die »normale« Sexualität Wesen und Wert erst durch ihre Zielgerichtetheit, d. h. sie ist ausgerichtet auf das unverzichtbare Ziel der »Vermehrung des Menschengeschlechts«. Jede Sexualität, die dieses Ziel nicht im Auge hat, die wie die traditionelle Liturgie Part pour l’art sein will, ist grundsätzlich als sündig zu betrachten - daher das immer wieder in Erinnerung gerufene absolute Verbot künstlicher Verhütungsmittel und der Homosexualität.
Ein Tropfen Honig und ein Fass voll Essig
Auch wenn mir das damals noch nicht klar war, sondern erst im Laufe der Jahre immer deutlicher bewusst wurde, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass wir mit den sichtbarsten äußeren Zeichen der traditionalistischen Bewegung innerhalb der katholischen Kirche zugleich auch ein besonders prägnantes Beispiel
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