Der heilige Schein
ausgerichtete Konzelebration mehrerer Priester an einem gemeinsamen Altar unter Einbezug von Laien ist - so nahe sie dem eigentlichen Abendmahlgeschehen kommt, wie es uns die Bibel berichtet - diesem monarchistisch strukturierten System diametral entgegengesetzt und wird von traditionalistischen Gläubigen deshalb auch als Teufelswerk abgelehnt.
Dass die alte Liturgie, die mich so faszinierte, von der gültigen Autorität der katholischen Kirche gerade abgeschafft worden war, ihr Vollzug also nur scheinbar einen Akt der Disziplin und kirchlichen Ordnung darstellte, wollte ich nicht sehen. Kaschiert wurde diese paradoxe Situation von traditionalistischen Geistlichen mit dem Argument, man sei ja der authentischen Tradition, der wirklich katholischen Kirche, den »Päpsten aller Zeiten« gehorsam. Hier handele es sich nur um scheinbaren Ungehorsam gegenüber einem Papst, der nicht wisse, was er tue, einen heiligen Ungehorsam zur Rettung des wahren Gehorsams und der wahren Autorität. Diese habe der antiautoritäre Geist des Liberalismus untergraben, denn der »Rauch Satans« sei nach Aussage Papst Pauls VI. in die Kirche eingedrungen.
Außerdem bete man ja auch im Kanon für den derzeitigen Papst. Ein Priester der Piusbruderschaft führte mich in die Sakristei und zeigte auf eine Fotografie von Johannes Paul II., die dort gerahmt an der Wand hing. Halblaut fügte er dann aber hinzu, man müsse schon beten, dass er endlich wieder zum vollständigen wahren Glauben und zur »Messe aller Zeiten« zurückfinde. Und zuversichtlich: Wir müssten nur den langen Atem haben, dann werde der nächste Papst zur wahren Kirche der Tradition zurückfinden. Erst viele Jahre später erkannte ich, dass die kindliche Faszination für die disneyhaften Kulissen tridentinischer Subkultur den meisten Menschen den Blick dafür versperrt, dass es hier um eine weit über liturgische Fragen hinausgehende Revolte geht, die nun tatsächlich mit dem nächsten Papst ihre Erfolge in Rom feiert.
Ebenso wurde mir allmählich deutlich, dass der Selbstanspruch der Traditionalisten, sie alleine erhielten noch die unverkürzte Wahrheit des Katholischen aufrecht, kaum zutreffend war. Nicht nur in der Frage des Gehorsams, auch in ihrem ganzen Zugang zur Tradition, in konkreten Fragen der Gottesdienstgestaltung und der Frömmigkeitsübungen wählten sie höchst eigenwillig das aus, was ihnen in das selbstentworfene Konzept passte.
Die vielen einzelnen Gruppen, die sich innerhalb des traditionellen Katholizismus gebildet haben, sind die Produkte unterschiedlicher Bastelanleitungen, mit denen man sich je seine eigene Art von Katholizismus zusammenbaut. Dabei lassen sich im konservativen katholischen Milieu derzeit grob folgende Gruppierungen unterscheiden.
Aufgrund jüngster Entwicklungen im Zusammenhang mit der Aufhebung der Exkommunikation des Piusbischofs und Holocaustleugners Williamson dürfte die 1970 von dem französischen Integralisten -Erzbischof Marcel Lefebvre gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. am bekanntesten sein. Sie hat weltweit etwa 150000 Anhänger.
Die Sedisvakantisten bilden die äußerste Rechte der konservativen Katholiken. Ihnen ist selbst der Papst seit vielen Jahren nicht päpstlich genug. Sie sind der Überzeugung, dass seit der Modernisierung der katholischen Kirche und ihres Gottesdienstes durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) der Stuhl Petri in Rom leer (vakant) ist, und behaupten, der Papst sei nicht wirklich Papst. Daher die Bezeichnung » Sedisvakantismus «, was übersetzt etwa heißt: »Der Thron des Papstes ist leer.« Weltweit der bekannteste Anhänger der Sedisvakantisten dürfte der amerikanische Schauspieler Mel Gibson sein. Dass sein Film Die Passion Christi aus dem Jahr 2004 gerade bei konservativen Katholiken so viele Fans fand, ist von daher erklärbar. Erst unter dem gegenwärtigen Pontifikat von Benedikt XVI. haben die Sedisvakantisten neue Sympathien für den real existierenden Papst entwickelt und können sich nun eher vorstellen, ihn als rechtmäßigen Nachfolger des Heiligen Petrus anzuerkennen.
Als Lefebvre im Jahr 1988 illegal mehrere Bischöfe (darunter Richard Williamson) weihte, die daraufhin aus der Kirche ausgeschlossen wurden, spaltete sich von der Piusbruderschaft die Priesterbruderschaft St. Petrus ab. Sie ordnete sich der Form nach Rom unter und wurde dafür mit dem Status einer »Gemeinschaft päpstlichen Rechts« belohnt, behielt aber ihre ursprünglichen radikalen
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