Der Heiratsspezialist
Polizeimeister?« Juliane zuckte hoch. Ihr hochrotes Gesicht zitterte. »Man wirft die Opfer eines Verbrechens auf die Straße! Und die Polizei steht daneben und grinst dumm! Ist das das ›saubere St. Pauli!‹, von dem immer geredet wird?! Hier verschwinden Menschen wie alte Bierdeckel, und die Polizei sagt nur …«
»Beruhigen Sie sich, Frau Hatzle.« Der Obermeister blickte sich um. Zwei der Beamten, die das Hinterhaus durchsucht hatten, kamen zurück. Ihr Kopfschütteln machte weitere Fragen überflüssig. Nichts. Alles sauber. Jonny atmete auf – seine Konzession hatte an einem dünnen Fädchen gehangen.
»Mir ist das unerklärlich«, sagte er mit festerer Stimme. »Auf dem Weg zum Lokus kann gar nichts passieren. Da ist doch ein ständiges Kommen und Gehen. Aber neben dem Lokus ist ein Notausgang. Vielleicht ist Mr. Brook auf diesem Wege verduftet.«
»Die Tür war geschlossen«, sagte einer der Polizisten.
»Sie hat ein Schnappschloß. Wenn man sie von außen zuzieht, rastet sie ein. Ist aber von innen zu öffnen! Er kann also raus, die Tür hinter sich zumachen, und weg ist er!«
»So wird es gewesen sein!« Der Obermeister schielte zu Juliane Hatzle. Wird in Panik gekommen sein, dachte er, je älter der Abend wurde. Brauchte vielleicht ein paar hinterm Knorpel, um zu erkennen, was er sich da abgeschleppt hatte. Und als er das sah, hat er sich sofort durch die Hintertür verdrückt. Eine glatte Flucht. Aber wie bringt man das einer Frau bei? Vor allem dieser Frau. Wobei das Rätsel offenbleibt, wie eine ehrbare Post-Inspektorin auf den Gedanken kommt, mit einem jungen Amerikaner nachts in eine Sex-Show zu gehen, bei der selbst die harten Männer von der Davidswache rote Ohren und blanke Augen bekommen! Ein wenig ungewöhnlich war das schon …
»So war es nicht!« schrie Juliane Hatzle. »Wir wollten heiraten! Das habe ich schon gesagt!«
»Es hat schon Männer gegeben, die sind noch vor der Kirchentür weggelaufen«, sagte der Obermeister freundlich, mit einem tröstenden Unterton. »Gehen wir zur Wache, Frau Hatzle; hier können wir im Augenblick nichts mehr tun.«
Im Protokollbuch der Davidswache schlug sich der Besuch von Juliane Hatzle in folgenden Worten nieder:
»Frau Hatzle gebrauchte Ausdrücke, die in Anbetracht ihrer Verfassung von den Beamten nicht als Beleidigung aufgefaßt wurden. Sie nannte den Wachhabenden, Polizei-Kommissar Hausermann, einen uniformierten Strichjungen, alle anderen Beamten Lahmärsche oder Rotzlümmel. Erst nach dem Genuß von drei Tassen Kaffee, in die wir auf Rat von POM Wentzel je einen großen Kognak mischten, beruhigte sich Frau Hatzle und schlief ein. Wir legten sie in eine der Ausnüchterungszellen, wo sie bis gegen 6 Uhr 30 fest schlief. Als sie aufwachte, begann sie zu weinen und fragte: ›Wo ist Bob?‹ – Wir konnten ihr darauf nur die Auskunft geben, daß der Polizei noch nichts Neues bekannt sei. Sie verließ die Wache gegen 8 Uhr, nachdem wir ihr ein Taxi gerufen hatten …«
Wer etwa glaubte, Juliane Hatzle habe den Schlaf in der Ausnüchterungszelle der Davidswache zur inneren Einkehr genutzt, hätte sich gewaltig geirrt. Sie überdachte während ihrer Taxifahrt von St. Pauli bis zur Binnenalster noch einmal ihre Situation und fand sie in höchstem Maße alarmierend.
»Zum Pressehaus!« sagte sie und tippte dem Fahrer auf die Schulter. »Und dann warten Sie. Wir fahren weiter zum Springer-Haus und zum ›Spiegel‹ und überhaupt zu allen Zeitungen und Illustrierten! Sie kennen die Adressen?«
»Zu allen?« Der Taxifahrer fuhr an den Straßenrand und hielt vorsichtshalber an. Wer aus der Davidswache kommt und zu allen Zeitungen will, muß eine Sauwut im Bauch haben.
»Zu allen!« sagte Juliane Hatzle.
»Ich glaube, das gibt großen Ärger!«
»Das soll es auch!«
»Wär's nicht besser, Sie warten bis morgen?«
»Was geht das Sie an?« Juliane beugte sich vor. »Fahren Sie? Oder soll ich eine andere Taxe holen?! Ich will die Welt aufhorchen lassen!«
»Oje! Womit denn?«
»Mein Bräutigam ist entführt worden …«
»Da leckst mich doch …« Der Taxifahrer verbiß sich den Schluß des Satzes. Er wandte den Kopf, erschrak, weil Julianes Kopf unmittelbar neben seinem Ohr war, und starrte sie an. »Entführt?!«
»Spurlos!« Sie setzte sich zurück in das Polster. »Fahren Sie nun herum?«
»Bei fünfzig Mark Vorauskasse«, sagte der Fahrer mißtrauisch. Sie kann eine oder mehrere Schrauben locker haben, dachte er. Wer zahlt mir dann
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