Der Heiratsspezialist
beschäftigte sich zunächst mit folgenden Fragen: Die Erpresser verlangen 200.000 Mark. Von wem? Zur Zahlung aufgefordert sind natürlich erst einmal die Anverwandten. Hat Bob Brook Verwandte? Können diese zahlen? Wenn nicht, wer zahlt dann? Der Hamburger Senat aus Steuergeldern? Für einen Ami?! Oder der US-Bundesstaat, aus dem dieser Bob Brook stammt? Also Arizona? Alles sehr verwickelt – da muß man erst die Experten hören. Am besten, man verläßt sich auf eine Expertenkommission. Schließlich geht es eventuell um 200.000 Mark aus Steuergeldern.
Das ›Sonderdezernat Bob Brook‹ der Kripo wurde tätig. Es kämmte noch einmal den Tatort auf St. Pauli durch, verhörte den Geschäftsführer Jonny und die ›Artisten‹ der Sex-Show, aber jetzt waren alle Spuren, falls es überhaupt welche gegeben hatte, längst verwischt, zuletzt von der fleißigen Putzfrau, die einen abgerissenen Anzugknopf im Flur fand, den sie in den Müll geworfen hatte. Aber auch er hätte nichts genützt. Die entscheidende Frage lautete: ›Wer zahlt 200.000 Mark für Bob Brook?‹
Die Forderung der Entführer schlug, wie nicht anders zu erwarten war, gewaltige Wellen. Die in dem Brief enthaltenen Angriffe auf die Presse lösten Jubel bei den Linken aus, denn jeder wußte, welche Zeitung damit gemeint war und wer als erster die Schlagzeile fabriziert hatte: ›Amerikanischer Millionär entführt!‹ Daß es nur ein kleiner Eisverkäufer war, der aus irgendeinem Grunde gerade in Hamburg weilte, erzeugte solidarisches Mitgefühl. Aber weder die Parteien noch die Gewerkschaften und schon gar nicht der Staat hielten sich für kompetent, 200.000 Mark Lösegeld auf den Tisch zu legen. Man einigte sich auf einen Protest gegen die Polizei, warf ihr Untätigkeit vor und mangelndes Kooperationsverständnis – ohne dabei zu sagen, mit wem sie kooperieren sollte, und schlug vor, mit den Kidnappern in Verhandlungen einzutreten, schon deshalb, weil ein armer Eisverkäufer keine 200.000 Mark wert sein könne …
Juliane Hatzle war die einzige, die sofort handelte. Als sie die Nachricht in der Zeitung gelesen hatte, stieß sie zunächst einen lauten Schrei aus, trank einen Kognak und war dann immerhin etwas beruhigt, weil Bob überhaupt am Leben war. Mit der Zeitung auf dem Schoß entwickelte sie darauf eine ungeheuere Aktivität, die ihr Telefon auf Stunden blockierte.
Zunächst rief sie die Oberpostdirektion an, genauer eben jenen Personalsachbearbeiter, der sich so sehr dafür eingesetzt hatte, daß Juliane Hatzle den ihr zustehenden Pensionsanspruch verrenten ließ. Als der gute Mensch sie jetzt hörte, war es ihm, als blase ein Walroß ins Telefon.
»Frau Hatzle!« rief der Beamte. »Sie haben es sich überlegt? Sie verzichten nicht auf Ihre Pension? Ich wußte es! Man kann doch nicht einfach auf Geld verzichten, das der Staat einem schenkt …«
»Für das man unterbezahlt gearbeitet hat!« berichtigte ihn Juliane Hatzle grob. »Aber Sie haben recht – man soll auf nichts verzichten.«
»Gott sei Dank!«
»Ich möchte mich auszahlen lassen.«
»Das wäre auch eine Möglichkeit.«
»Wieviel käme dabei heraus?«
»Wir haben das ausgerechnet. Einen Augenblick.« Juliane hörte Rascheln, Aktendeckel … Dann sagte die Stimme: »Da kommt ein schöner Batzen zusammen, bei Ihren Dienstjahren.« Und er nannte eine Zahl.
Juliane Hatzle schwieg. Erschütterung breitete sich in ihr aus. »Das ist alles?« fragte sie endlich. »Für ein halbes Leben bei der Post?«
»Aber ich bitte Sie, Frau Hatzle! Für die mittlere Laufbahn ist das …«
»Ich brauche 200.000 Mark!«
»Sind Sie der Bundespräsident? Haha! Sie haben Humor!«
»Kann mir die Post ein Darlehen geben? Für ein halbes Jahr. Nur für ein halbes Jahr.«
»200.000 Mark?«
»Ja.«
»So was habe ich noch nie gehört!« Der Personalleiter schien nun wirklich aus der Fassung geraten zu sein. Er hüstelte und putzte sich vernehmbar die Nase. »Sie kommen da mit Sachen, Frau Hatzle …«
»Ich zahle zehn Prozent!«
»Die Post ist kein levantinischer Geldverleiher!«
»Ich biete Sicherheiten! Sobald ich mein Erbe in Amerika bekommen habe, zahle ich alles sofort zurück.«
»Die Post ist keine Bank! Außerdem … bekommen Sie das Erbe sicher?«
»Wenn ich einen Amerikaner heirate … ganz sicher!«
»Und Sie heiraten einen Amerikaner?«
»Ja! Aber ich bekomme ihn nur wieder, wenn ich 200.000 Mark auf den Tisch lege!«
»Sie bekommen ihn …« Der gute Beamte stockte.
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