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Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Probleme, und wenn ihnen aus dem Mittelwesten noch zusätzlich eine dicke Ladung fremden Drecks beschert wurde, dann würden die festgelegten bisherigen Toleranz-Höchstgrenzen weit überschritten werden. Es würde sie treffen wie der Giftatem eines Drachen. Die Menschen würden tot auf der Straße zusammenbrechen. Der Schwefelgestank würde sie würgen, der tödliche Smog ihnen die Nasenschleimhaut zerfressen und ihr Blut schwarz werden lassen. Die Behörden würden offizielle Warnungen an die Bevölkerung ergehen lassen, sie solle im Haus bleiben und Türen und Fenster geschlossen halten, Industriebetriebe würden dichtmachen müssen, vielleicht für mehrere Wochen. Man würde allgemeine Fahrverbote für den nicht lebenswichtigen Straßenverkehr erlassen müssen, um die Lage nicht noch mehr zu verschärfen. In der gesamten Region würde es einen scheußlichen temporären Rückschlag geben; möglicherweise gab es auch zusätzliche Langzeitschäden im Environment, etwa ein weiteres Ansteigen der Arsen-, Kadmium- und Quecksilberbelastung im Trinkwasser, die kontinuierliche Verschlechterung der Infrastruktur, schwerste Beeinträchtigungen bei der überlebenden Flora und Fauna an der Westküste: die gigantischen uralten Redwood-Bäume konnten sich ja schließlich nicht hinter geschlossene Türen und Fenster in Häuser zurückziehen, um sich bei einem Smogalarm der Stufe Fünf vor der nach Westen ziehenden Giftwolke zu schützen.
    Aber diese giftige Wolkenfront konnte auch jeden Augenblick abdrehen und weiterziehen, ohne Schaden anzurichten. Vorschnelle Warnungen vor einer möglichen Gefahr, die dann ausblieb, konnten zu unnötigen Produktionsstilllegungen führen, zu Panikreaktionen in der Zivilbevölkerung; höchstwahrscheinlich zu einer Massenflucht aus der Region, zu Staus und Blockaden der Ausfallstraßen, was zu zusätzlichen Umweltproblemen führen musste. Und danach würde es zu einer Sintflut von Schadenersatzprozessen kommen, weil die prognostizierte Katastrophe nicht eingetreten war. Leute würden auf Schmerzensgeld klagen für den erlittenen seelischen Schock, Entschädigungsforderungen für unnötige Aufwendungen, für Geschäftseinbußen und Verdienstausfall und alles denkbar mögliche andere würden kommen. Und Samurai Industries sahen sich ganz und gar ungern in gerichtliche Schadensabwicklungsprozesse verstrickt. Die Firma hatte so ziemlich das dickste Finanzkissen unterm Hintern – und saß fest darauf. Und jeder wusste das.
    Also musste die ganze Situation bis ins kleinste Detail möglichst genau an den Monitoren erfasst und protokolliert werden, Minute für Minute, und sämtliche Mitarbeiter im Wetterservice in Spokane waren bis zur Beendigung der Krisenlage zu ständigem Bereitschaftsdienst rund um die Uhr verpflichtet. Carpenter, dem man geradezu seherische Fähigkeiten zuschrieb, meteorologische Großraumprognosen zu erstellen, war dabei besonders gefordert. Er hatte sich mit Hyperdex vollgepumpt und die ganze Nacht vor dem Computer gesessen, in Schweiß gebadet und mit von der Droge geschärfter Wahrnehmungsintensität, und hatte die sich bewegenden gelbgrünen Balken- und Punktmuster angestarrt und die tanzenden Daten so rasch internalisiert, wie sie hereinkamen, und dabei gehofft, zu irgendeiner Art Sinnfälligkeit der kosmischen Abläufe vorzudringen, zu einer mystischen Gestalt -Erkenntnis, die ihm einen Blick in die Zukunft gestatten würde. Die Nacht verging wie ein Augenzwinkern. Und er hatte es geschafft! Er hatte es erwischt! Er erhaschte einen Blick über die Zeitkontur hinaus in den übernächsten Tag, und er sah, wie der tödliche Giftschwall in der Atmosphäre sich weiter- und weiterwälzte – südwärts, an Coeur d'Alene vorbei, kaum merklich südostwärts … ja, vielleicht doch mehr ostwärts … Ja …
    »Carpenter!«
    … ja, eine Verschiebung, ganz eindeutig, die Luftströme änderten ihre Richtung, und beginnen würde das am Dienstag, kurz nach drei Uhr nachmittags …
    »Carpenter?«
    Eine Stimme aus dem Nichts; dünn, schrill, ärgerlich irritierend. Carpenter wedelte abwehrend mit der Hand, wandte sich aber nicht um. »Verpiss dich, ja!« Er mühte sich heftig, die Konzentration nicht zu verlieren.
    »Chef sagt, du musst Pause machen. Er will mit dir sprechen.«
    »Ich hab es fast. Ich kann es sehen – Mist, Scheiße!« Er hämmerte mit der Faust auf die Konsole. Die Unterbrechung kam für ihn wie ein Eimer Eiswasser, das ihm über den Kopf geschüttet wurde. Alles

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