Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
und er stemmte sich gegen ihn. Und seine Hände hatten sich um Carpenters Hals geschlossen, und er drückte zu.
Carpenter geriet in einen Zustand manischer Überdrehtheit, tänzelte wild herum, wand sich, wurde schlaff und packte plötzlich wieder fest zu. Und irgendwie wand er sich so herum, dass er aus Farkas' Würgegriff frei kam, und tänzelte von ihm weg. Er wusste, das war dank einer glücklichen Gewichtsverlagerung möglich, und er würde es wahrscheinlich nicht ein zweites Mal schaffen.
Farkas kam hinter ihm her, er bewegte sich mit unbehinderter Sicherheit, als sie in tiefere Dunkelheit gerieten, wo Carpenter beinahe überhaupt nichts mehr von seiner Umgebung wahrnehmen konnte. Undeutlich sah er, wie Farkas seine langen Arme nach ihm ausstreckte, dunkel strichhaft vor der Dunkelheit. Er tastete mit der Fußspitze vorsichtig nach hinten, um herauszufinden, ob er sich dem Abgrund bereits näherte, von dem Farkas gesprochen hatte, oder aber ob Farkas ihn andererseits in die Enge und an die Wand treiben wollte. Aber er entdeckte nichts dabei. Und inzwischen konnte er wirklich fast nichts mehr sehen.
Aber Farkas, der konnte sehen.
Was vor ihm lag und auch hinter sich. Was hatte Jolanda gesagt? Dass er durch seine Blindheit eine Sehfähigkeit von dreihundertsechzig Grad bekommen hatte.
Aber er hörte den scharfen Atem des Mannes. Er fühlte, ohne sie zu sehen, wie seine massige Gestalt ihm näherkam. Er besaß eine übermenschliche Reaktionsgeschwindigkeit, doch Farkas konnte ›sehen‹, und er war größer und stärker. Und das war hier in der Finsternis kein fairer Kampf.
Carpenter schlüpfte in einer einzigen geschmeidigen Bewegung aus seiner Wolljacke und hielt sie sacht mit zwei Fingerspitzen fest. Farkas kam angerollt. Carpenter war darauf vorbereitet und stemmte sich, so gut es ging, gegen den Boden.
Dann prallten ihre Körper gegeneinander. Carpenter spürte einen heftigen Aufprall an der Brust, und er glaubte schon, dass ihm die ganze Luft auf einmal aus den Lungen gedrückt würde. Sein ganzer Brustkorb schien zertrümmert zu sein.
Doch es gelang ihm, den Schmerz wegzuschieben und auf den Beinen zu bleiben. Er hob seine Jacke wie eine Schlinge hoch, und als Farkas den Kopf senkte, um ihm den Todesstoß zu versetzen, warf er ihm die Jacke rasch über den Schädel zog das untere Ende um seinen Hals, packte die Saumenden, verschnürte und verknotete sie wie eine Haube über dem Kopf von Farkas. Ihm schien, er hätte massenhaft Zeit, um zu tun, was er da tat. In Wirklichkeit dauerte es wahrscheinlich nicht länger als eine Sekunde.
Farkas keuchte. Er brüllte. Er stampfte mit den Füßen und stieß wütende keuchende Schreie aus.
Na?, dachte Carpenter. Funktioniert dein Blindsehen auch, wenn man dir Wolle über den Kopf zieht?
Anscheinend nicht. Farkas tobte und raste wie ein geblendeter Polyphem im Finstern, und Carpenter tänzelte geschickt als geschmeidiger, von Panik erfüllter Odysseus um ihn herum, versetzte ihm einen kräftigen Stoß, so dass er sich im Kreis drehte, während Carpenter an ihm vorbeiglitt. Farkas stolperte, gewann das Gleichgewicht zurück und griff mit enormer Geschwindigkeit erneut an.
Er war schnell, doch Carpenter war noch schneller. Er wich wieder aus. In der Finsternis konnte er fast nichts unterscheiden, doch fühlte er den Lufthauch, als Farkas mit wirbelnden Armen und wütend grunzend mit gewaltigen dröhnenden Schritten an ihm vorbei schoss.
Und danach – der Schrei. Plötzlich. Erstaunen? Wut? Entsetzen?
Ein lang ausgedehnter Schrei, der wie in einem Dopplerecho verhallte.
Und dann, weit unten, ein dumpfer Aufschlag.
»Farkas?«, rief er.
Keine Antwort.
»Bist du ins Loch gefallen, Farkas? He, du da unten, bist du tot?«
Aber alles blieb still. Ganz still. Still.
Also war Farkas weg. Richtig weg und fort. Es fiel schwer zu glauben, dass diese ganze dunkle Potenz so einfach ausgelöscht sein sollte. Dieser seltsame Mensch. Carpenter starrte in die Finsternis hinein.
Doch in diesem Augenblick des Sieges empfand er keinerlei Gefühl von Triumph. Er war nur desorientiert und erschöpft. Er begriff, dass er genau in diesem richtigen Augenblick sein Hyperdex-High erreicht gehabt hatte und nun wieder absackte. Und es war ein sehr hohes High gewesen. Der Abstieg würde scheußlich werden.
Ihn überkam nur ein Schwindelgefühl, wie er es nie vorher erlebt hatte, und ein fast unüberwindlicher Brechreiz. Das ganze Universum kreiste wirbelnd um ihn herum. Er
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