Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
und Laune hast. Ganz gemütlich langsam, um das Vergnügen möglichst lang zu genießen.«
»Pass du nur einfach auf, dass ihm nichts geschieht, das ist alles«, sagte Farkas. »Und jetzt komm!«
Der Ort hatte ein altertümliches Aussehen, das klassische Bild einer lateinamerikanischen Kleinstadt; niedrige pastellfarbene Häuser mit massenhaft schmiedeeisernen Verzierungen an den Fassaden, die Plaza mit Pflastersteinen bedeckt, in der Mitte eine komplizierte Brunnenkonstruktion, an den Seiten malerische kleine Caférestaurants. In dem Ort lebten schätzungsweise zehntausend Personen, und es hatte den Anschein, als hätten sie sich allesamt in diesem Moment auf der Plaza versammelt, wo sie etwas tranken und sich die Sonnenfinsternis anschauten. Juanito war froh darüber. Die Verfinsterung war das Tagesereignis. Niemand schenkte ihnen Beachtung, als sie auf dem Personentransporter abwärts schwebten und auf die Plaza traten. Verdammt dickes Ding, dachte Juanito. Da kommst du an einen Ort, und ein Mann ohne Augen geht direkt hinter dir her, und keiner beachtet euch im geringsten. Aber wenn die Sonne wieder herauskommt, wird sich das vielleicht ändern.
»Dort ist er«, flüsterte Farkas. »Links, etwa fünfzig Meter entfernt, sechzig.«
Er gab die Richtung mit einer kaum merklichen Kopfdrehung an. Juanito spähte durch das trübe Purpurlicht nach vorn und konzentrierte sich auf das Café an der Plaza, das direkt neben dem vor ihnen lag. Etwa ein Dutzend Personen saßen dort in Grüppchen unter schillernden Fiberglasmarkisen bei ihren Drinks, plauderten und genossen den Tag. Eben einen angenehmen beiläufigen Nachmittag im guten alten gemütlichen El Mirador im verschlafenen alten Valparaiso Nuevo.
Farkas hatte sich zur Seite gedreht, zweifellos damit sein seltsames Gesicht teilweise verdeckt bliebe. Aus dem Mundwinkel sagte er: »Wu sitzt allein am vordersten Tisch.«
Juanito schüttelte den Kopf. »Die einzige allein sitzende Person ist eine Frau, etwa fünfzig, fünfundfünfzig Jahre, mit langem rötlichem Haar, großer Nase, unauffällige, fast schäbige Kleidung, seit zehn Jahren aus der Mode.«
»Das ist Wu.«
»Wie kannst du da so sicher sein?«
»Die äußere Gestalt deines Körpers kannst du durch Retrofitting völlig anders aussehen lassen. Die nicht-visuellen Informationsdaten nicht, wie ich sie durch meine Blindsichtigkeit aufnehme. Als ich Dr. Wu zuletzt sah, war er für mich ein schwarzer spiegelblank polierter Metallkubus auf der Spitze über einem pyramidenförmigen kupferroten Piedestal. Ich war damals neun Jahre alt, aber ich schwor mir, dass ich nie vergessen würde, wie er aussah, und ich habe es nicht vergessen. Und diese Frauensperson, die da drüben ganz allein sitzt, sieht exakt so aus.«
Juanito starrte angestrengt hin. Aber er sah noch immer nur eine unscheinbare ältere Frau in unmoderner Kleidung. Juanito wusste, man konnte heutzutage per Retrofitting Wunder bewirken; sie konnten einem fast jeden Körper wachsen lassen, als handelte es sich um Kleidung von der Stange, indem man in die DNS einer Person hineinstocherte. Trotzdem fiel es Juanito schwer, sich die Frau dort drüben als einen verkleideten chinesischen Genspalter vorzustellen, und er hatte sogar noch größere Schwierigkeiten damit, in ihr einen glattpolierten Kubus an der Spitze einer kupferfarbigen Pyramide zu sehen.
Doch er vermochte beinahe den Schwall von heftigem Hass zu spüren, der von Farkas ausstrahlte. Deshalb wusste er, dass das Objekt tatsächlich die richtige Person war. Der Mann ohne Augen wollte eine entsetzliche Rache nehmen für das, was ihm bei der Geburt angetan worden war und das ihn so von allen anderen Menschen abgesondert hatte.
»Was hast du jetzt vor?«, fragte Juanito.
»Wir gehen rüber und setzen uns neben sie. Halte deinen Spike bereit. Aber ich hoffe, du wirst ihn nicht benutzen müssen.«
»Wenn wir sie festnehmen und sie ist nicht Wu«, sagte Juanito beklommen, »dann krieg ich verdammt viel Ärger, besonders wenn sie unseren El Supremo für das Asylrecht bezahlt. Asylprivilegierte Leute werden recht eklig, wenn ihre Privatsphäre verletzt wird. Sie könnte einen richtigen Stunk veranstalten, und bevor sie mit uns fertig ist, bist du ausgewiesen, und ich bezahle als Strafe ein Vermögen und ein halbes und werde möglicherweise ebenfalls ausgewiesen, und was ist dann? Wo soll ich leben, wenn ich von hier fort muss? Hast du daran gedacht?«
»Mach dir nicht soviel Sorgen«, sagte
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