Der hellste Stern am Himmel
ineinander verheddern und ich nicht aus ihnen schlau werde. Zum Glück stelle ich fest, dass ich Polnisch sehr gut verstehe, und hier ist eine ungefähre Übersetzung dessen, was sie sagen:
»Sag du es ihr, Jan.«
»Nein, das musst du machen, Andrej.«
»Ich habe es beim letzten Mal versucht.«
»Aber dich achtet sie mehr, Andrej.«
»Nein, Jan. Mir als Pole ist das zwar unbegreiflich, aber sie achtet uns beide nicht. Irische Frauen sind mir ein Rätsel.«
»Wenn du es ihr sagst, kriegst du drei Kohlrouladen von mir.«
»Vier, dann mache ich es.«
(Ich gestehe, dass ich die letzten beiden Sätze frei erfunden habe.)
Die Küche betritt jetzt das Objekt ihrer ernsten Diskussion, und ich verstehe nicht, wovor sie sich so sehr fürchten, zwei stattliche Mannsbilder wie sie, mit ihren Tätowierungen und den bedrohlich wirkenden Bürstenschnitten. Dieses zarte Geschöpf – irisch, im Gegensatz zu den beiden jungen Männern – ist entzückend . Ein hübsches kleines Kätzchen mit kessem Blick und dichten Wimpern und einer Unmenge wilder Korkenzieherlocken, die ihr bis über die Schultern reichen. Mitte zwanzig, dem Anschein nach, und so energiegeladen, dass die Luft vibriert.
In der Hand hält sie einen Karton mit einer Fertigmahlzeit. Sieht nicht sehr appetitlich aus. (Gräuliches Roastbeef, falls es jemanden interessiert.)
»Jetzt mach«, zischt Jan Andrej ins Ohr.
»Lydia.« Andrej deutet auf die wirklich sehr verdreckte Küche. Auf Englisch sagt er: »Du machst sauber irgendwann.«
»Irgendwann«, sagt sie zustimmend und nimmt sich eine Gabel von der Abtropffläche. »Aber bedauerlicherweise nicht in diesem Leben. Jetzt mach Platz.«
Bereitwillig gibt Andrej ihr den Weg zur Mikrowelle frei. Energisch sticht Lydia mit der Gabel in die Zellophanhülle des Kartons. Viermal, und jedes Mal erklingt ein Geräusch wie eine kleine Explosion, so laut, dass Jans linkes Auge zuckt, dann knallt sie die Packung in die Mikrowelle. Ich nutze die Gelegenheit, mich ihr von hinten zu nähern, aber zu meiner Überraschung schlägt sie mich fort, als wäre ich eine lästige Fliege.
Ich!
Weißt du nicht, wer ich bin?
Andrej versucht es erneut. »Lydia, bitte … Jan und ich, wir machen oft, oft sauber.«
»Sehr gut«, sagt Lydia munter, klaubt sich das Messer aus dem Becken, das am wenigsten schmutzig aussieht, und lässt kurz Wasser drüberlaufen.
»Wir haben einen Plan gemacht.« Andrej zeigt ihr ein Blatt Papier.
»Auch das ist sehr gut.« Oh, wie weiß ihre Zähne sind, wie bezaubernd ihr Lächeln!
»Du lebst hier drei Wochen. Du machst nicht sauber. Du musst saubermachen.«
Plötzlich geht ein Gefühl von Lydia aus, schwarz und bitter. Offenbar macht sie sehr wohl sauber. Aber nicht hier? Wo dann?
»Andrej, mein kleiner polnischer Kohlkopf, und auch du, Jan, mein zweiter polnischer Kohlkopf, stellen wir uns mal vor, die Sache wäre andersherum.« Sie wedelt mit dem immer noch schmutzigen Messer, um das Gesagte zu unterstreichen. Ich weiß zufällig, dass sich auf diesem Messer zweihundertdreiundsiebzig unterschiedliche Bakterienarten tummeln. Allerdings weiß ich auch, dass es nur einer besonders mutigen und heldenhaften Bakterie gelingen würde, sich gegen diese Lydia durchzusetzen.
»Andersherum?«, fragt Andrej beklommen.
»Sagen wir, es wären zwei Frauen und ein Mann, die in dieser Wohnung lebten. Der Mann würde nichts tun, die Frauen alles. Stimmt’s?«
Die Mikrowelle piept. Lydia schnappt sich ihr unappetitlich aussehendes Essen und verlässt mit einem bezaubernden Lächeln die Küche, um im Internet etwas nachzusehen.
Was für eine temperamentvolle junge Frau! Ein faszinierendes kleines Feuerwerk!
»Sie sagt Kohlkopf zu uns«, sagt Jan starr. »Ich hasse es, wenn sie Kohlkopf zu uns sagt.«
Doch obwohl ich zu gern wüsste, wie es weitergeht – ob Jan in Tränen ausbricht? –, werde ich fortgezogen. Fort, nach unten, durch gesundheitsgefährdendes Linoleum, durch eine weitere wurmzerfressene Holzdecke, und lande in einer dritten Wohnung. Diese ist dunkler. Vollgestopft mit schweren Möbeln, die zu groß und zu
braun für dieses Zimmer sind. Auf dem Fußboden liegen mehrere Läufer mit nicht zueinanderpassenden Mustern, an den Fenstern hängen Stores, die so dicht sind, dass man sie für gehäkelt halten könnte. In einem großen Sessel sitzt eine finster dreinblickende alte Frau, die Beine gespreizt, die Füße in Pantoffeln fest auf dem Boden. Sie muss mindestens hundertsechzehn Jahre alt
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