Der Henker von Lemgo
vollgefressen?«
Der Kaufmann wischte
sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Es war aus feinster Seide.
Er keuchte schwerfällig und rülpste fortwährend, wobei er sich am Tisch, auf
dem die Instrumente lagen, abstützte und sich leicht nach vorn gebeugt den Leib
hielt, aus dem immer wieder üble Gase entwichen.
»Meine Frau, die
Maria Elisabeth, ist eine gute Köchin. Sie achtet sehr darauf, was ich esse.
Ich habe keine Ahnung, woher die Leibschmerzen kommen, Chirurgus Hermessen.
Könnt Ihr denn gar nichts für eine Linderung tun? Ich will mit der Belohnung
auch nicht geizen.« Er warf Hermann einen Beutel Gulden auf den Tisch. »Da sind
fünfzig Taler – aber in Gottes Namen, nehmt mir diesen Teufel aus meinem Leib!«
»Erst einmal wollen
wir den Einlauf wirken lassen. Zusätzlich verordne ich Euch strengste Bettruhe
und feuchtwarme Wickel. In den nächsten Tagen solltet Ihr nur etwas Tee zu Euch
nehmen. Am besten mit Anis, Bitterklee und getrockneten Lembanenblättern. Meine
Frau Maria wird Euch nachher die Kräutermedizin nach Hause bringen und Euch
zeigen, wie Ihr sie einnehmen müsst«, beruhigte er ihn.
Als Herman Hermessen
einen Augenblick später mit dem Geld die Barbierstube verließ und durch die
Diele schritt, drang Kinderlachen aus dem oberen Stockwerk an sein Ohr. Ein
sanftes Lächeln huschte über sein Gesicht. Einen Moment lang verharrte er
zufrieden am Treppengeländer und lauschte. Oben in den Stuben spielten seine
Kinder unter der Aufsicht einer Magd. Die glockenhellen Töne erinnerten ihn an
Maria, und er lenkte seine Schritte zu dem Erker neben der Barbierstube. Der
Raum darinnen diente zur Kräuteraufbewahrung. In ihm mischte Maria auch die
Tinkturen an. Hermann drückte auf den verzierten Messinggriff und öffnete leise
die Tür.
In der Stube war es
schummerig, da Maria die bunten Glasscheiben der Fenster mit Vorhängen verhängt
hatte. Das einzige Licht kam von dem Kronleuchter an der Decke, dessen
flackernde Kerzen die unzähligen verschiedenen Zinnbehälter, Karaffen und
Tiegel in den Regalen gespenstisch zum Tanzen brachten. Unter der gewölbten
Decke hatte Maria büschelweise Kräuter an langen Leinen aufgehängt. Es roch
nach Lavendel, Anis, Thymian und Pfefferminze.
Mit dem Rücken zu
ihm zerrieb sie getrocknete Kräuter mit einem Stöpsel in einem Mörser. Leise
schlich er sich von hinten an sie heran.
»Wie in einer
Hexenküche riecht es hier bei meinem kleinen Hexenweiblein«, scherzte er und
umfasste zärtlich ihre Hüfte.
Erschrocken fuhr sie
herum. »Hermann! Du sollst mich doch nicht immer so erschrecken.« Sie kicherte
und wand sich zum Schein in seiner Umarmung. Wie schön sie aussah! Wie immer
zum Anbeißen frisch, mit rosigen Wangen und vollem Haar, das sie sittsam unter
einer Seidenhaube zu einem dicken Zopf gebunden und aufgesteckt trug.
»Ich muss doch mal
nach meinem Weibe sehen«, flüsterte er und küsste verlangend ihre Halsbeuge.
Lachend versuchte
sie sich ihm zu entziehen und bog den Kopf nach hinten. »Hermann, mein
Liebster, nicht jetzt. Ich muss noch die Medizin für den faulen Zahn und die
Eiterpustel mischen!«
»Dann kommt hiermit
noch etwas gegen ›Branns Rache‹ dazu. Aber beeile dich, mein Liebstes. Ich habe
solche Sehnsucht nach dir.«
»Ist es dringend mit
dem Durchfall? Wer ist es denn?« Sanft schob sie seine Hände von ihren Hüften
und zupfte aus einem Bund getrockneter Kräuter ein paar Halme heraus. Dann
entnahm sie aus einem Töpfchen ein Pulver, gab beides in einen Tiegel,
schüttete aus einem kleinen Kessel eine wohlriechende Flüssigkeit dazu und
erhitzte alles über einer Kerzenflamme.
Hermann schaute
ihrem Treiben eine Weile stumm zu. »Es ist der Kaufmann Blattgerste«, sagte er
dann. »Sein Leib gefällt mir gar nicht. Kannst du ihm die Kräutermischung
später vorbeibringen? Er muss sie gleich heute in den Abendstunden mit dem Tee
einnehmen, und ich habe noch Blutegel anzulegen und einen verdorbenen Magen zu
kurieren.«
»Kein Wunder, wenn
der gute Mann leidet.« Sie drehte sich zu ihm um und wischte sich mit dem
Handrücken eine Strähne aus dem Gesicht. »Bei dem Eheweib! Er hätte die
Knochenhauer-Maria einfach nicht heiraten sollen, sie passt nicht zu ihm. Immer
wieder frage ich mich, warum sie nicht standesgemäß einen Knochenhauer geheiratet
hat. Aber stattdessen musste sie ja dem alten Blattgerste ihr Versprechen vor
Gott geben.«
»Vielleicht hat so
ein alter Mann auch seine Vorzüge? Seine Augen sind
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