Der Henker von Lemgo
Henrich
Grothe am Gespräch. Er saß neben Prott und hatte bis jetzt in einen Pelz
gewickelt geschlafen.
»Wie kommt Ihr
darauf?« Anton hielt dem Kämmerer auffordernd den Branntwein hin. Er war
hellhörig geworden.
»Nun, er ist doch
mit der Maria verheiratet. Jeder in der Stadt weiß, dass sie zaubern kann.«
»Blödsinn!« Anton
lehnte sich wieder zurück. »Das sind alles nur Gerüchte, und ich als ihr
Schwager muss es ja wissen. Die Maria ist in der Heilkunst bewandert und geht
Hermann zur Hand. Sie ist eine Heilerin, keine Zauberin, oder hat sie Euch den
Dorn aus Eurer Hinterbacke etwa mit Zauberei entfernt?«
David und Prott
lachten scheppernd, während sich der Kämmerer beleidigt in seine Ecke
zurückzog.
»Ist sie noch immer
so schön, die Maria?« Davids Gesicht hatte bei der Erwähnung des Namens einen
seltsamen Ausdruck angenommen.
»Sogar noch viel
schöner. Man möchte es nicht glauben, aber obwohl sie viermal guter Hoffnung
war, konnte das ihrer Schönheit nichts abtun. Ihre Mädchen sind ihr wie aus dem
Gesicht geschnitten.«
»Wird wohl eher der
Reichtum sein, der ihre Schönheit erhält. Die Hermessens können es sich halt
leisten, über andere erhaben zu sein«, knurrte der Kämmerer aus seiner Ecke.
»Ihr beleidigt meine
Familie«, antwortete Anton, dem das Lachen im Hals stecken geblieben war.
»Beruhigt Euch,
Anton.« David legte ihm besänftigend seine Rechte auf den Arm. »Der hohe Herr
weiß es nicht besser. Ehre und Reichtum, wem Ehre und Reichtum gebühret. Zudem
hat der Hermann sein Ansehen mir zu verdanken.« Er schlug sich auf die Brust.
»Wenn ich ihn damals nicht gefunden hätte, als sein Pferd gestürzt war, und ihn
der Maria wohlbehalten zurückgebracht hätte, wer weiß, wie alles gekommen wäre.
Vielleicht hätten ihn ja Galens Horden erwischt und aufgehängt. Aber dass der
Hermann ein guter Barbier ist, kann ich sehr wohl bezeugen. Immerhin kenne auch
ich mich ein wenig in der Kunst der Wundheilung aus.«
»Ihr? Ich denke, man
hat Euch die Quacksalberei verboten?« Der Kämmerer winkte ab, als David zu
einer Antwort ansetzte. »Schon gut, ich weiß, was Ihr sagen wollt. Ihr kommt
vom Grafen, wo Ihr Beschwerde dagegen eingelegt habt, nicht wahr?«
»Das habe ich in der
Tat, mein Herr. Seid mit Euren Äußerungen vorsichtig.« Jetzt war es an David,
ärgerlich zu werden. Seine Augen verengten sich. Mit der Flasche am Mund
knurrte er: »Denn wenn ich es dürfte, dann könnte ich so einiges über die
Lemgoer Herren erzählen, dass es ihnen danach äußerst übel ergehe.«
»Ach ja?« Der
Kämmerer grinste überheblich.
In diesem Moment zog
die Kutsche hart an, und die vier Rappen fielen in Galopp. Die Peitsche knallte
durch die Luft, der Wagen schwankte und holperte, und die vier Männer suchten
eilig nach einem Halt. Schaumbedeckt jagten die Pferde mit der staubigen
Kutsche durch das Ostertor.
Die Blattgerste
Den 5. Martij 1681 herman
Blasttgarsten frawe Bekandt,
sölche Bekandtnüß auch mediante
tortura Bestättiget,
wie ihr Ehemann kranck gewesen,
Vndt Sie nach Hermensen hause gangen,
fur ihren Man etwaß medicamenten zu
holen,
hette dessen fraw Maria Rampendahlß
ihr zu versteghen gegeben,
dass Sie Johan VerEggen tochter
Marien Eliesabeth eine Zeitlang nachgegangen, deroselben die Zaubereykunst
beyzubringen …
Mit gerunzelter Stirn legte Hermann das Holzrohr zur Seite,
durch das er seit längerer Zeit nach Geräuschen in Hermann Blattgerstes
aufgetriebenem Bauch horchte. Seufzend zog er mit einer Pinzette dem Kranken
die Augenlider nach oben.
»Kein Gelb in den Augen«,
murmelte er nachdenklich. »Er kann sich erheben und den Bauch bedecken.«
Hermann Blattgerste
rollte sich ächzend von der Holzpritsche, auf der Hermann Zähne zog, operierte,
aber auch Bärte stutzte und rasierte. Sein Patient glühte vor Fieber, und Hermann
betrachtete ihn sorgenvoll. Der alternde Kaufmann war mit heftigen
Leibschmerzen zu ihm gekommen und hatte furchtbar nach Kot gestunken. Sein
hageres Gesicht wirkte blass und aufgedunsen, mit tiefschwarzen Ringen unter
den Augen klagte er über großen Durst. Hermann hatte ihn zunächst geschröpft
und dann einen Einlauf gemacht.
»Ist Euch noch immer
unwohl?«, fragte er, während Blattgerste stark schwitzte. Sein Hemd unter dem
Rock war triefnass. »Ihr gefallt mir ganz und gar nicht, Blattgerste. Ich
vermute, Ihr leidet an ›Branns Rache‹. Habt Ihr in letzter Zeit verdorbene
Speisen zu Euch genommen oder Euch übermäßig
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