Der Henker von Lemgo
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Augenblicke wich der Tölpel von Kutscher den am Rande liegenden Feldsteinen so
ungeschickt aus, dass sein Gegenüber, der Wandmacher Prott, schon zweimal auf
ihn zugeflogen gekommen war und ihm dabei schmerzhaft die Zehen malträtiert
hatte. Er fluchte leise, litt er doch an Hühneraugen und trug ausgerechnet an
diesem Tag einmal Schuhe, die die Etikette verlangte. Er hatte sich nach
Detmold zum Grafen aufgemacht, um sich dort über den Lemgoer Rat zu beschweren.
Eine solche wichtige
Aufwartung erforderte naturgemäß gewisse Äußerlichkeiten, zu denen auch die
vermaledeite Perücke gehörte, die so stark juckte, dass er sich pausenlos am
Kopf kratzte. Schuld daran waren seine langen Haare. Die hohen Herren machten
es sich da einfacher und trugen unter der Perücke nur einen kahlen Schädel.
Doch so weit würde Davids Ehrbezeugung dem Landesherrn gegenüber nie gehen. Mit
einem Ruck riss er sich Hut samt Perücke vom Kopf und wedelte sich damit
befreit den Staub vom Gesicht.
»Was finden die
hohen Herren nur an diesem Kopfschmuck?«, bemerkte er und blickte dabei Anton
an. »Habt Ihr schon einmal so einen Staubwedel getragen, Chirurgus?«
»Nein, aber das
würde ich gern. Die Perücke ist ein wichtiges Zeichen des Mannes unserer
heutigen Zeit.«
»Ich bin auch ohne
diesen Firlefanz ein Mann.« David grinste breit. »Aber sagt, Ihr kommt mir so
bekannt vor, seid Ihr mit dem Chirurgus Hermann Hermessen verwandt?«
»Ich bin sein
Bruder.« Anton öffnete einen Lederkoffer und holte ein Stück Fleischpastete und
eine verkorkte Flasche Branntwein hervor.
Beim Anblick des
edlen Gebräus leuchteten Davids Augen auf. Schnell kroch er aus seinem Fell und
richtete das Wort an Prott: »Nachbar, auf meinem Platz sitzt Ihr sicherer.
Würdet Ihr ihn mit mir tauschen?«
Der schmächtige
Wandmacher beeilte sich, sich umzusetzen. Am Fensterplatz des Henkers wärmte
ihm die Märzsonne das Gesicht. Überrascht beugte David sich vor und
begutachtete Protts violette, seltsam geschwollene Nase.
»Habe ich Euch den
Zinken verpasst?«, fragte er interessiert und nahm den wulstigen Auswuchs
genauer in Augenschein. Gleichzeitig bezeugte er chirurgisches Interesse und
betastete sie. »Zeigt mal her.«
Prott ließ es mit
sich geschehen, dass David das Nasenbein fachmännisch in seiner ganzen Länge
untersuchte. Oft genug hatte er seine Hilfe schon in Anspruch genommen, wenn er
sich mal wieder die Schulter ausgerenkt hatte oder ein gutes Kraut gegen
Verschleimung der Brust brauchte. Aber genauso oft waren sie auch im Suff schon
aneinandergeraten. Plötzlich zuckte er zusammen und stieß einen Schmerzenslaut
aus.
»Ist halb so
schlimm. Das Nasenbein ist gebrochen, wird aber schon wieder heilen. Ihr
solltet die Nase mit kalten Tüchern und etwas Arnika kühlen.«
Davids Interesse für
Prott erlosch schnell wieder, als er hörte, wie Anton den Branntwein entkorkte.
Lächelnd ließ er sich neben den jüngeren Mann fallen. »Für den Zinken habe ich
übrigens zehn Taler Brüchtenstrafe bezahlt. Der Schelm hat zuerst mit mir im
Wirtshaus gesoffen und sich dann beim Hohen Rat darüber beschwert, dass ich ihm
eins auf die Nase gehauen hätte. Die Tat habe ich nie bestritten. Schließlich
sind wir in Streit gekommen, wer besser einen Reuter halten kann, darauf hat er
mich einen Filler gescholten, und dafür musste ich ihm eine reinschlagen. Das
war doch rechtens, was sagt Ihr?«
Anton nickte
zustimmend und hielt David nun die entkorkte Flasche hin. »Trinkt einen,
Meister David! Das Leben ist kurz. Auch Ihr, Prott, solltet einen tüchtigen
Schluck nehmen. Ist gut für die Nase.« Er ließ die Flasche reihum gehen und
stopfte sich dann die Pastete in den Mund.
»Ein gutes Gesöff«,
lobte David den Branntwein. »Darf ich fragen, wer es gebraut hat?«
»Mein Bruder
Hermann.«
»Tatsächlich?«
Davids Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Ich denke, er ist Chirurg?«
Da Anton sich mit
dem Zeigefinger zwischen den Zähnen pulte, ergriff an seiner Stelle Prott das
Wort. »Sicher geht es nicht mit rechten Dingen zu, dass er ein so reicher Mann
geworden ist. Ich habe gehört, er habe das größte und schönste Haus am Markt
gekauft.«
»Von wegen, nicht
mit rechten Dingen! Mein Bruder ist der beste Barbier und Chirurgus in der
Stadt, das kann jeder bezeugen.«
»Aber ist es nicht
seltsam, dass ein Fremder ein so kostbares Haus auf dem Markt erwerben kann? Da
kann nur Hexerei im Spiel sein«, beteiligte sich nun auch Kämmerer
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