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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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aufgrund Eures Ungehorsams
entgegen dem landesherrlichen Privileg von 1661 sämtliche Kuren verboten sind.
Hiermit seid Ihr nicht mehr befugt, chirurgische Arbeiten auszuführen.«
    David war
leichenblass geworden, seine Züge wirkten eingefallen. Mutlos ließ er die
breiten Schultern hängen. Er fühlte sich alt und hilflos. Alles, was Kerckmann
ihm aufgebaut hatte, hatten diese Herren nun kaltherzig und berechnend binnen
einer Minute zunichtegemacht. Voller Wehmut dachte er an seine Söhne. Sein
ältester Sohn David sollte einmal in Lemgo sein Amt übernehmen.
    »Was habe ich Euch
getan, meine Herren, dass Ihr mir so übel mitspielt? War ich nicht immer ein
nahezu ebenbürtiger Partner? Und jetzt wollt Ihr mich auf das Maß eines
Untertanen zurechtstutzen, der willenlos zu parieren hat? Allein die
Exekutionsgebühren seid Ihr mir schuldig. Früher war es üblich, gleich nach der
Hinrichtung die Scharfrichtergebühr abzunehmen und von den Räten an mich
auszuzahlen, doch seitdem Ihr Richter und Bürgermeister seid, muss ich die
Leute selbst ansprechen und um Zahlung mahnen. Ihr habt mich damit zum
Bittsteller degradiert. Obendrein verlangt Ihr, dass ich die einst von der
Grafschaft Lippe erhobene Türkensteuer an Euch entrichten muss, dabei wisst Ihr
doch genau, dass der Rat mich jahrelang darin unterstützt hat, den Kopfschatz
nicht doppelt zu zahlen.«
    »Bürgermeister
Kerckmann lebt nicht mehr, Henker! Ich und der hohe Herr Barthold Krieger
regieren jetzt die Stadt«, unterbrach ihn Cothmann gelangweilt. »Kerckmann hat
Euch gelehrt, die Nase hoch zu tragen. Zu hoch für einen Scharfrichter, der
normalerweise zu seinen Fillern gehört. Entweder Ihr pariert, wie Ihr es so
schön genannt habt, oder Ihr fallt noch tiefer!«
    David holte tief
Luft und blickte Cothmann kampfbereit in das aufgedunsene Gesicht. Mit einer
Handbewegung schob er die Knechte zur Seite, dann schritt er langsam auf die
Ratsherren zu und blieb auf Augenhöhe vor dem Bürgermeister stehen. Cothmanns
Augen flackerten nervös. »Keine Furcht, Schelm. So viel Ehre besitze ich noch,
um mir nicht die Finger an Euch schmutzig zu machen. Aber eins lasst Euch
gesagt sein: Auch Eure Macht ist nur begrenzt. Ich werde bei unserem hochwohlgeborenen
Grafen Beschwerde über Euch einlegen, denn der mir angehängte Schimpf ist nur
ein Ausdruck Eures Hasses und Eures Widerwillens.«
    »Tut, was Ihr nicht
lassen könnt, Meister David. Ich hoffe, der Graf hat endlich ein Einsehen und
befreit uns von einem solch impertinenten Menschen, wie Ihr es einer seid.«
    »Was seid Ihr nur
für eine abstoßende, miese Ratte!«, verlor David nun doch die Beherrschung, und
Cothmann wie Krieger wurde es ungemütlich. Fast gleichzeitig griffen sie mit
der Hand zum Degen, doch ihre Furcht war David bereits Genugtuung genug.
Angewidert spuckte er vor ihnen aus, trat wütend nach den Knechten und verließ
schnellen Schrittes das Rathausgewölbe.
    »Sieht ganz so
aus, als sollte es heuer eine gute Ernte werden, Meister David.« Anton Hermessen
deutete zur Feldmark hinüber, auf deren Äckern die ersten zartgrünen
Roggenpflänzchen sprossen. »Und das, obwohl der Winter sich diesmal besonders
lange gehalten hat.«
    Anton beugte sich
aus dem Fenster der Kutsche und hielt sich die Hand gegen die Sonne vor die
Augen. Sein Gesicht wies Staubspuren auf, ebenso seine Kleidung. Schon seit
Stunden versuchte er, mit dem Scharfrichter ins Gespräch zu kommen, was ihm
nicht recht gelingen wollte. Meister David blieb einsilbig. Es war nicht
ungewöhnlich, dass der Henker Mitglied der kleinen Reisegruppe war. Bei
längeren Strecken wie der von Detmold nach Lemgo wählte er den bequemeren Weg
mit der Reisekutsche. Er liebte es zwar immer noch, auf einem schnellen
Pferderücken dahinzureiten, doch die steinigen und oft unwegsamen Pfade waren
nichts mehr für einen Mann, der die fünfzig Jahre bereits überschritten hatte.
Von den anderen vier Reisenden hatte niemand etwas gegen seine Gesellschaft. Im
Gegenteil: Meister David scheute sich immerhin nicht davor, kräftig mit
anzupacken, wenn unterwegs die Räder stecken blieben.
    »Keine Bange, junger
Freund, der Winter kommt bestimmt noch einmal zurück«, brummte er und verzog
sich tiefer in seinen Fellumhang.
    Suchend tastete
seine Hand nach dem Kissen. Die schmale Sitzbank drückte am Hinterteil, und
seine Beine waren zu lang, als dass er sie bequem hätte ausstrecken können.
Außerdem taten ihm von der holprigen Fahrt sämtliche Knochen weh.

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