Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
Vom Netzwerk:
seiner Worte im Rathaus:
»Kreuze nie wieder meinen Weg, Maria!« Heimlich blickte sie in seine Richtung,
immer noch in der Hoffnung, einen Blick von ihm zu erhaschen. Doch keine seiner
Regungen verriet, dass er sie überhaupt wahrgenommen hatte.
    »Bringe Er die Hexe
zu mir!«, befahl ihm Cothmann, ohne aufzublicken, und kritzelte ungelenk etwas
mit einer goldenen Feder auf das vergilbte Papier. Aufgeschreckt aus ihren
Gedanken, gewahrte Maria erst jetzt die Blattgerste, die von dem Knecht mit
Gewalt vor den Richtertisch gestoßen wurde.
    »In diesen kalten
Mauern bekomme ich stets Appetit auf ein warmes Bier. Seid Ihr einverstanden,
wenn wir nachher noch in Rampendahls Wirtschaft einkehren und uns sein
köstliches Gesöff munden lassen?« Cothmann grinste Stadtsekretär Krieger zu, hielt
gut gelaunt im Schreiben inne und zwinkerte Maria zu. »Komm zu mir, mein Kind!«
Er deutete gnädig neben sich. »Von hier aus kannst du der Prozedur besser
folgen.«
    »Ihr seid guter
Laune. Dann geht es Euch also besser, mein Freund«, feixte Krieger zweideutig
zurück und trat um den Tisch herum auf die Hexe zu. »Maria Vieregge, Hermann
Blattgerstens Eheweib, du weißt, weshalb wir dich in die Folterkammer haben
holen lassen?«
    »Aber hoher Herr,
ich habe Euch doch bereits alles gesagt. Ich bestreite ja gar nicht, dass ich
eine Hure und Hexe bin«, wimmerte das Wesen in dem Leinensack.
    In Marias Leben
hatte es bisher nur zwei Situationen gegeben, in denen ihr das Herz vor Schmerz
zu zerspringen gedrohte und sie geglaubt hatte, an einer Wegkreuzung ihres
Lebens zu stehen. Das erste Mal, als die Großmutter Salmeke auf dem Wege zur
Richtstätte, hoch oben vom Schinderkarren, die dürren Hände mit den gebrochenen
Fingern nach ihr ausgestreckt und gellend, mit unmenschlich verzerrten Zügen
geschrien hatte: »Das da ist mein Enkelkind! Lasst es zu mir! Es ist von meinem
Fleisch und Blut und somit auch ein Hexenkind!« Sie hatte an der Hand des
Vaters die Worte angehört. Wie alle war sie stumm vor Entsetzen gewesen,
unfähig zu begreifen. Dann hatte sich der Vater abgewandt und ihr eingeschärft,
nie wieder einer Hinrichtung beizuwohnen. Das zweite Mal war ihr der Atem
gestockt, als sie Hermann Beschoren gegenübergestanden und mit ansehen hatte
müssen, wie der Mann, den sie liebte, dem von ihr bewunderten Schulmeister das
Fleisch von den Rippen riss.
    Hier aber, tief
unter dem Hexenturm, in diesem Labyrinth aus modrigen Gängen, wurde sie so tief
wie noch nie erschüttert. Wie oft schon hatte sie der Feindin die Pestilenz an
den Hals gewünscht und hätte sie lieber tot gesehen. Dass der Weg bis dahin
aber so grausam sein sollte, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht
ausgemalt. Fast hätte sie die Blattgerste nicht wiedererkannt, lediglich die
schrille, spitze Stimme erinnerte sie an die einstige Kontrahentin. Viel war
von der früheren Maria Vieregge nicht übrig geblieben. Die Knechte hatten ihr
auf Geheiß des Stadtsekretärs ihre dunklen Haare sowie die Augenbrauen
abrasiert und waren dabei nicht besonders vorsichtig verfahren. Auf der dünnen,
pergamentartigen Kopfhaut klafften mehrere tiefe Schnittwunden. Grau war es
geworden, ihr hageres, breitflächiges Gesicht, so grau wie das einer Greisin.
In ihm stachen zwei tief liegende Augen und ein dünner Mund mit rissigen Lippen
hervor. Sie war zu einem farblosen Menschen geworden, ein gehender und
sprechender Leichnam in einem sackähnlichen Gewand, das ihre mageren Füße
entblößte. Ihres Stolzes beraubt, stand sie mit gebeugtem Rücken vor dem
Richter und hatte die Augen demütig nach unten auf ihre nackten Zehen
gerichtet.
    »Meister David, habt
Ihr der Delinquentin die Folterwerkzeuge erklärt?«, richtete Krieger das Wort
an den Henker. »Doch bevor wir zum actus torturae schreiten, geben wir ihr noch einmal die Möglichkeit, sich vor Gott gütlich zu
bekennen und ihre verirrte Seele zu reinigen.«
    »Aber hohe Herren …
Ich verstehe nicht …?« Hilflos ließ Maria Blattgerste den Blick über die Runde
schweifen. Ihre wirren, rot geränderten Augen blieben am Magister hängen.
»Hochwürden, auch Euch habe ich vor Gott, unserem Herrn, bereits bekannt, dass
die Maria Rampendahl mich in die Hexenzunft gebracht und mir die Zauberei
beigebracht hat.«
    »Aber du hast uns,
den Herren beider Räte, noch nicht bekannt, dass die Maria Rampendahl wirklich
zaubern kann. Jetzt kommt es ganz darauf an, ob wir dir Glauben schenken
können. Schließlich könnte auch

Weitere Kostenlose Bücher