Der Henker von Lemgo
ich
bin ein nur allzu gerechter Nachrichter, der sein Handwerk versteht!«
Mit hocherhobenem
Schwert raste er durch die Tür. Wut lenkte seine Schritte, und er hastete durch
das Labyrinth der Gänge, ohne recht zu wissen, wohin ihn seine Beine trugen.
Erst die riesige Tür zu dem Gewölbe, in dem die verurteilten Hexen
untergebracht waren, stoppte seinen Lauf. Er trat mit dem Fuß dagegen, sodass
die Schlösser krachend aus den Fugen sprangen und der Kerkermeister verstört
sein Heil in einer Mauernische suchte. Der verwirrte, sich wild gebärdende
Henker jagte ihm Todesangst ein. In seinem Versteck betete er auf Knien zum
Herrgott, dass er ihn von diesem teuflischen Spuk befreien möge. Doch als er
den Blick flehentlich zum dunklen Gewölbehimmel richtete, blickte er in Davids
feuersprühende Augen. Abwehrend hielt er die Arme über dem Kopf, eine Geste, die
David auf den Boden der Tatsachen zurückholte.
»Steh auf, mein
alter Freund, du musst keine Furcht vor mir haben. Ich bin es nur!«
Der Mann warf sich
vor ihm auf die Knie und küsste ihm überschwänglich die Füße. Mit zitternder
Stimme sagte er: »Ich glaubte schon, der Leibhaftige rase durch die Gänge. Dem
Herrn sei Dank, dass Ihr es seid, Meister!«
Beschämt, dass er
dem Kerkermeister Angst eingejagt hatte, bückte sich David zu ihm hinab.
Lautlos erhob sich der Mann. Er war wesentlich kleiner als David, aber breit
wie ein Eichenschrank. In ledernen Hosen und mit in Hundefell gewickelten Füßen
stand er vor ihm. Unter dem Kettenharnisch trug er ein grobes Leinenhemd und
gegen die feuchte Kälte in den Mauern ein Katzenfell über den Schultern. Aus
einem Wald von gelblich grauen Haaren starrten David zwei vor Schreck geweitete
Augen entgegen und ein Schlitz, der Ähnlichkeit mit einem Mund hatte.
»Schon gut, Peter«,
murmelte er, darüber verärgert, dass er sich derart hatte gehen lassen. Doch
schon kurz darauf überkamen ihn wieder Trauer und Wut. Verloren blickte er auf
das Schwert in seinen Händen. »Was würdest du tun, wenn du das Weib, das du
liebst, töten müsstest? Würdest du der Anweisung Folge leisten? Und ist das
alles hier denn überhaupt mit Gottes Gesetzen vereinbar?«
David wusste nicht,
warum er gerade dem Kerkermeister diese Frage stellte – aber an wen sonst
sollte er sich wenden? Peter war wie die Mauern, die ihn umgaben: An ihm
prallte jeder Laut ab. Schon seit Jahren hatte er kein Tageslicht mehr gesehen,
die Gänge und der Kerker waren sein Reich. Treuer ergeben als er konnte nicht
einmal ein Hund sein. Früher, vor vielen Jahren, hatte er einst seine Zuflucht
bei David gesucht und gefunden. Der Henker entsann sich eines schmächtigen,
blonden Jungen, der von Kerckmanns Häschern gejagt wurde und ihm direkt vors
Pferd lief. Der Bengel kam gerade aus dem Detmolder Zuchthaus. Am Ende seiner
Kräfte, lief er auf mageren Beinen in einem zerfetzten Sackkleid um sein Leben,
der Tod blickte ihm bereits aus den Augen. Der Scheiterhaufen war dem
entlaufenen Hexenkind sicher gewesen, so gewiss wie das Amen in der Kirche.
Es war nicht Mitleid
gewesen, das ihn damals hatte handeln lassen. Zu dieser Zeit war David solcher
Gefühle für die Hexenbrut noch nicht fähig gewesen. Allein durch Marias Kuss,
den er wenige Minuten zuvor empfangen hatte, war er so beseelt gewesen, dass er
sich in Hochstimmung befand, die er nicht mit einem Schwertstreich hatte
auslöschen wollen. Also zog er den Jungen gnädig zu sich in den Sattel herauf
und versteckte ihn hier unten im Gewölbe. In einem Grab für die Ewigkeit. Von
diesem Tag an war der heimatlose Hexenjunge Peter Grönspan sein treuester
Knecht gewesen.
»Herr, Ihr seid doch
der Henker, wie soll da ausgerechnet ich, Euer treu ergebener Knecht, Euch etwas
raten?« Noch immer forschte er ängstlich in Davids Augen. Zu gut kannte er
seinen unberechenbaren Charakter. Drei Mal schon hatte er ihm mit einem
einzigen Schlag seiner Faust die Nase zertrümmert. Sein Fehler, denn er hatte
die Laune seines Herrn falsch eingeschätzt. Aber er wusste auch, dass David
seine Taten im selben Augenblick schon bereut hatte und seiner wilden
Unberechenbarkeit immer eine überschwängliche Sorge um seine Gesundheit folgte.
Doch seine Nase war ihm mehr als teuer geworden. Vorsichtshalber hielt er jetzt
schützend die Hand darüber.
»Vielleicht hilft in
dieser Sache ja bereits ein köstlicher Moselwein weiter?« Er grinste ergeben,
was jedoch in dem Wald grauer Barthaare unterging. »Ich glaube
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