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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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tatsächlich, Ihr
braucht jemanden, der Euch wieder auf die Beine hilft. Ein lebender Toter wie
ich ist zwar stumm für die Welt über ihm, doch Euch kann er mit seinem Rat
vielleicht von Nutzen sein.« Er hatte die Worte vorsichtig gewählt und
verbeugte sich nun unterwürfig.
    David überlegte
einen Augenblick, bevor er nickte und dem Knecht folgte. Sie liefen einen
kurzen Gang entlang bis zu einer Holztür, die aus dunklem Eichenholz gefertigt
und mit kunstvollen Schnitzereien verziert war. Ein Hauch Bürgerlichkeit
zwischen Eisentüren und Felsgestein. Beinahe grotesk hob sie sich von dem
restlichen Gewölbe ab. Der Knecht stieß sie auf, und David trat hinter ihm
gebückt hindurch. Der Raum wurde von Wandfackeln hell erleuchtet. Ein Bett, das
mit verschiedenen Fellen überzogen war, stand an einer Seite, rechts daneben
ein Tisch aus Paneelholz und ein ebensolcher Stuhl mit geschwungenen Armlehnen.
In der Ecke gegenüber befand sich der Kamin, in dem ein Feuer glomm. Über ihm
blinkten auf einem reichlich verzierten Regal fein geordnet Kannen, Töpfe und
Krüge aus Zinn und Silber. David ließ es seinem Knecht hier unten an nichts
fehlen.
    Einladend wies der
Kerkermeister auf einen der Stühle, nahm vom Regal zwei Becher und holte aus
einem in den Fels gehauenen Wandschrank eine verstaubte Karaffe aus rotem Zinn.
Mit leicht zitternden Fingern füllte er daraus Davids Becher und sagte, während
er ihn aus den Augenwinkeln beobachtete: »Wisst Ihr noch, Meister David? Aus
dieser Karaffe habt Ihr mir damals einen Schluck Wein eingeflößt, damit ich
wieder zu Kräften komme. Heute beschwöre ich Euch, ebenfalls davon zu trinken.
Der Wein wird Euch guttun, denn Euer Blick verrät mir, dass Eure Seele etwas
Schweres bedrückt.«
    David starrte
nachdenklich in den Becher. Die Lider mit den dunklen Wimpern waren vom Weinen
geschwollen. Der Knecht betrachtete ihn abwartend. Das Schwert hatte David quer
über den Tisch gelegt, sodass er es im Blick hatte, als verspräche er sich von
ihm die Antwort auf seine Ohnmacht. Zu gern würde er wieder der Henker sein,
aber sosehr er auch versuchte, sich zusammenzureißen, er blieb der Mensch David
– und ein zweifelnder und verliebter noch dazu.
    Hilflos richtete er
die dunklen Augen über den Becherrand auf das Haargestrüpp vor ihm. Peter
Grönspan war um Jahre jünger, doch das Leben im Kerker hatte ihn nicht nur vor
der Zeit altern lassen, sondern ihm offensichtlich auch eine Weisheit
verliehen, um die David ihn manchmal beneidete.
    »Ihr liebt sie sehr,
die Hexe?«, fragte er und goss sich selbst den Inhalt des Bechers in die
Öffnung inmitten der Barthaare.
    »Mehr als mein
Leben«, knurrte David. Wäre er nicht so mit sich beschäftigt gewesen, hätte er
wohl darüber nachgedacht, woher der Kerkermeister dies wusste. So aber drängten
all die Zweifel, die ihn immer schon bedrückt hatten, aus ihm heraus. Nach dem
nächsten Schluck Wein fragte er den Kerkermeister: »Glaubst du, dass ein Henker
vor Gott Vergebung findet?« Er erhob sich und lief unruhig durch den Raum. »Ich
werde sie nicht foltern, geschweige denn töten. Niemals. Niemand kann das von
mir verlangen.«
    Der Kerkermeister
war ruhig sitzen geblieben und beobachtete David. Er erkannte den Henker nicht
wieder. In dieser Gemütsverfassung durfte ihn die Welt außerhalb der Mauern
niemals zu Gesicht bekommen.
    »Setzt Euch,
Meister«, forderte er ihn auf. »Der Wein wird Euch gleich beruhigen, doch wenn
Ihr meine ehrliche Meinung dazu hören wollt: Ein Henker wird genauso wie ich
weder vor Gott noch vor seiner eigenen Seele Vergebung finden!« Er staunte
selbst über seinen Mut und beäugte Meister David ängstlich.
    Als sei er gegen die
Bohlen vor den Wänden gelaufen, hielt der Henker im Schritt inne. Überrascht
blickte er seinen Knecht an. Hinter seiner Stirn arbeitete es, während die
Zornesader auf der hohen Stirn anschwoll. Auch die Kerbe über der Nase
vertiefte sich, doch der erwartete Ausbruch blieb aus. Schwer ließ sich David
in den Stuhl zurückfallen und hielt seinem Knecht den Becher zum Nachfüllen
hin. »Das glaubst du wirklich?«, fragte er zerknirscht. »Und dabei habe ich
doch, nur um Gott gnädig zu stimmen, einen Kirchenstuhl in St. Nikolai
gekauft.«
    »Gott lässt sich
nicht bestechen, Meister, und wenn man es genau betrachtet, so seid Ihr ein
bezahlter Mörder. Euer Handwerk haben sich die hohen Herren gekauft. Für sie
tötet Ihr die Delinquenten, und wir beide wissen genau, dass es

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