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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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glitzerte im
Fackelschein, als seien unzählige Tautropfen hineingeflochten. Sie wirkte so
zerbrechlich und war selbst hier, in dem düsteren Gemäuer, unsagbar schön. Der
Hunger, das feuchte Gewölbe, die Angst und der Schmutz – nichts hatte ihrer
Schönheit etwas anhaben können. Wie eine Blume im Grab, dachte er, und für
einen Augenblick kamen ihm Zweifel, ob bei ihrem Anblick nicht doch Hexenzauber
im Spiel war.
    »Geh!«, klang es
dunkel und ein wenig heiser aus ihrem Mund. »Geh weg von hier!« In ihren Augen
blitzte etwas auf. War es Enttäuschung, Furcht, Hass oder Abwehr?
    »Bitte, Maria, so
hör mich doch an!«, bat David hilflos. Der Henker in ihm hatte noch nie um etwas
gebeten, hatte sich immer genommen, was ihm gefiel. Doch für Maria war er
bereit, notfalls auf die Knie zu fallen, wenn sie es von ihm verlangte.
    »Du bist ein
Scheusal, David! Du hast die Blattgerste gequält wie ein Tier! Warum nur, um
alles in der Welt? Und bist du gekommen, um jetzt auch mich zu quälen – oder
willst du das hier, Henker?« Sie trat von der Wand zurück, griff nach ihrem
Kleid, zog es sich über den Kopf und stand im nächsten Moment nackt vor ihm.
    David betrachtete
schweigend ihren herrlichen Körper. Weiß wie glänzender Alabaster hob er sich
von der dunklen Wand ab, wurde eingehüllt in einen Umhang aus rotgoldenem Haar.
Maria war pure Sinnlichkeit in einer modrigen Gruft.
    »Du bist mit Recht
zornig auf mich«, bekannte er reumütig. Er bückte sich nach dem Kleid, hob es
auf und reichte es ihr. »Ich habe dir einmal gesagt, dass du mir nie wieder
unter die Augen treten sollst, weil ich wusste, dass es dich erschüttern würde,
ansehen zu müssen, wozu ein Mensch fähig ist. Vor allem, wenn es der Mensch
ist, den du zu lieben glaubst. Und ich weiß, dass du mich liebst, Maria. Glaube
mir, meine Seele hat geblutet. Tausende von Tränen hat sie geweint, als ich dir
in der Folterkammer gegenüberstand.«
    »Was hat das jetzt
alles noch für eine Bedeutung, David?« Maria hatte sich das Kleid wieder
übergestreift. Die Furcht war aus ihren Augen gewichen. »Bald werde ich wieder
frei sein, und dann werde ich dich aus meinem Herzen reißen. Wir werden uns nie
wiedersehen.« Hocherhobenen Hauptes stand sie vor ihm.
    »Und woher nimmst du
diese Zuversicht?« Es schmerzte, sie so reden zu hören. Er bückte sich nach dem
Korb, wühlte zwischen der Kanne mit Wein, zwei Broten, Pasteten und Salz.
    »Mein Ehemann
Hermann war heute Morgen bei mir. Er hat mich zuversichtlich gestimmt.«
    Ihre Worte waren wie
Dolchstöße. Jeder von ihnen traf sein Herz. Vielleicht war sie ja doch eine
Hexe? Langsam richtete sich David wieder auf. Seine Augen suchten in ihrem
Gesicht nach einer Emotion, doch vergeblich. Maria war stark. Aber war sie auch
stark genug, seine Nachricht zu verkraften?
    »Du irrst, Maria«,
sagte er leise, während er sie ängstlich beobachtete. »Cothmann hat Hermann
hintergangen. Dein Mann hat ihn unterschätzt, der Richter ist schlau und
verschlagen wie ein Fuchs. Deshalb, meine Geliebte, bin ich zu dir gekommen. Er
hat nicht, wie es sonst üblich ist, das Einverständnis zur Folter von der
Universität Rinteln eingeholt. Nachdem ihm klar war, welche rechtlichen
Schritte Euer Anwalt unternehmen wird, besorgte er sich die Genehmigung von der
Fakultät in Jena, wo er einflussreiche Freunde hat. Deine Bittschrift an ihn«,
er wurde noch leiser, »hat er an seinen Vetter Diedrich ungelesen weitergeleitet.
Der Hurensohn hat sie heute in den frühen Abendstunden, nachdem er sie
öffentlich verlas, auf dem Marktplatz verbrennen lassen. Er hat dich und deine
Familie verhöhnt. Morgen früh, noch vor dem ersten Hahnenschrei, soll ich dich
holen, um dich der peinlichen Befragung zu unterziehen.«
    Es war totenstill im
Kerker. Nur die Ratten, die den Korb mit den Lebensmitteln in der Aussicht auf
ein festliches Mahl umkreisten, piepsten leise. Da Maria nichts erwiderte und
stumm blieb, schrie er: »Aber ich werde seine Anweisung nicht befolgen! Und
wehe dir, wenn du doch eine Hexe bist und auch mich mit deinem Zauber behext
hast. Dann werde ich dich mit meinen eigenen Händen töten, bei Gott! Mach
endlich den Mund auf! Hast du dich auf dem Hexentanzplatz vergnügt? Hast du
Menschen und Tiere mit deinem Hexenzauber vergiftet? Sag mir die Wahrheit oder
lüge, wenn du es vor Gott verantworten kannst, aber rede mit mir, Maria!«
    Mit allem hatte er
gerechnet, damit, dass sie um sich schlug, schrie, kreischte und vor

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