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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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sich dabei
längst nicht nur um Mörder, Diebe und Hexen handelt – Ihr tötet auch
Unschuldige. Viel zu viele von ihnen! Mit Eurem Gehorsam gegenüber Richter
Cothmann brecht Ihr jeden Tag das wichtigste Gebot Gottes: Du sollst nicht
töten. In Euren Augen und denjenigen Eurer Zunft ist das grausame Handwerk
rechtens und ehrenhaft, und für den Richter und sein Gefolge bedeutet es
Reichtum, Macht und Zeitvertreib, doch für die vielen unschuldigen Seelen ist
es Mord. An die dreißig Jahre habt Ihr Eure Berufung mit Leidenschaft ausgeführt,
habt um Loyalität zum Volk und zu den Herren gerungen, und doch seid Ihr als
Diener eines noch grausameren Herrn zum Mörder Unschuldiger geworden. Für Eure
Sünden hat Gott Euch mit einer unerfüllten Liebe bestraft und Euch diese
schwere Prüfung auferlegt.«
    Demütig und in der
Erwartung eines kolossalen Wutausbruchs senkte er den Blick. Doch stattdessen
stöhnte David auf. Seine Worte klangen wie der Schrei eines waidwunden Adlers:
»Aber was, Peter, was kann ich tun? Wie kann ich Gott versöhnlich stimmen und
zudem Maria retten?«
    Der Knecht erschrak.
Der Henker war bleich in sich zusammengesunken. War er vielleicht doch zu weit
gegangen? Vorsichtig griff er nach Davids Hand und antwortete listig: »Ich
denke, für Euch ist noch nicht alles verloren. Ihr zählt jetzt über fünfzig
Jahre. Eure Tage werden kürzer, Eure Kraft wird versiegen und Euer Leib welken,
doch Ihr habt ein Herz, David. Vielleicht ein Fehler für einen Scharfrichter,
aber oft genug in Eurem Leben habt Ihr dieses Herz sprechen lassen. Ich verdanke
Euch beispielsweise mein Leben. Und deshalb rate ich Euch: Hört auf Euer Herz!
Dieser Teil Eures Körpers gehört nicht dem Henker, das Herz gehört dem Menschen
David. Ihm kann niemand befehlen, nur Ihr selbst!«
    Der Henker hatte
seinem Knecht ruhig zugehört. Die dunklen, schwermütigen Augen waren
nachdenklich auf ihn gerichtet, dann schob er plötzlich seine Rechte über die
knochige Hand des Kerkermeisters. »Ich danke dir, Peter«, murmelte er
ergriffen. »Und jetzt öffne mir ihre Tür!«
    Er erhob sich und
griff nach dem Schwert. Der Knecht lächelte verschmitzt und folgte ihm den Gang
hinunter zu den Kerkern. An dessen Ende blieb er vor einer schweren Eisentür
stehen und steckte den riesigen Schlüssel in das erste der fünf Schlösser.
    David war an
Dunkelheit und Dämmerlicht gewöhnt. Jetzt aber, nachdem die Tür hinter ihm
zugefallen war, bereitete es ihm Mühe, seine Augen der Dunkelheit anzupassen.
Verwirrt machte er einen Schritt nach vorn, bevor er unschlüssig auf der Stelle
verharrte. Er sah nichts als die schwarzen Schatten der Felswände.
    »Bring Fackeln,
Peter!«, brüllte er in Richtung der Tür. »Außerdem Decken und etwas zu essen!«
Er hatte eine schreckliche Vorahnung. Obwohl er sich seit der Folter der
Blattgerste geschworen hatte, Maria zu ignorieren, da die Herren beschlossen
hatten, sie zu richten, war er nun voll banger Erwartung, Furcht und Zweifel.
    »Maria?« Als er noch
einen Schritt nach vorn machte, quietschte es unter seinen Stiefeln.
Erschrocken blickte er an seinen Beinkleidern hinab und hob den Fuß. Blut
tropfte vom Stiefel, und etwas Kleines, Graues, Pelziges lag auf dem Boden. Ein
winziger lebloser Teppich, von ihm zertreten. Hinter ihm rasselten erneut die
Schlüssel, und Peter, der Kerkermeister, trat mit zwei Fackeln und einem Korb
in den Händen in die Zelle. David nahm ihm die Fackeln ab und steckte sie links
und rechts von der Tür in die Eisenringe an der Wand. Als er sich wieder
umdrehte, stand sie plötzlich vor ihm. Übergroß und fiebrig glänzten die Augen
in dem vertrauten Gesicht. Ein stummer Schrei lag auf seinen Lippen.
    »Maria, Liebste, oh,
Maria!« Erwartungsvoll breitete er die Arme aus, das Sprechen fiel ihm schwer.
Er wollte ihr mehr sagen, wie schön sie war und wie sehr er diesen Augenblick
herbeigesehnt hatte, doch der Kloß in der Kehle hinderte ihn daran. Er
schluckte, doch der Schmerz kroch in seine Brust und hielt sie umklammert. Die
Enttäuschung wurde zur Qual. Maria wich vor ihm wie vor einem Fremden ängstlich
zurück in das Innere des Kerkers.
    Ärgerlich spürte er
Peters Atem in seinem Nacken. Die Anwesenheit des Knechtes störte ihn. »Verzieh
dich und lass heute niemanden mehr zu ihr!« Entschlossen trat er auf Maria zu.
Nur die Wand hinter ihr verhinderte, dass sie weiter vor ihm flüchtete.
    »Komm zu mir«,
murmelte der Henker in ihm fordernd und bestimmend. Ihr Haar

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