Der Henker von Lemgo
Jedes Mal, wenn David sie mit einem Schwall Wasser wieder ins Leben
zurückholte und Cothmann ihr die gleiche Frage stellte, sie dazu aufforderte,
zu bekennen und ihre Seele zu reinigen, schüttelte sie den gemarterten Kopf.
Als der Richter nach drei qualvollen Stunden endlich das Zeichen zum Aufhören gab,
erwachte Maria wieder.
David band sie los
und trug sie auf seinen starken Armen vorsichtig durch die Tür der
Folterkammer. In der Kammer des Kerkermeisters bettete er sie sanft auf die
Bank und deckte ihren Körper mit Fellen zu. Stühle wurden gerückt, Papier
raschelte, und Degen klirrten am Gestein. Nebenan erhoben sich die Richter und
Ratsmänner und rüsteten sich zum Aufbruch. Als ihre schweren Schritte in dem
Gewölbe verklangen, Cothmann die mit Fuchsfell verbrämte Schaube enger um seine
mageren Schultern zog und einen letzten triumphierenden Blick auf sein Opfer
warf, hob Maria den Kopf und sah ihm mutig in die Augen.
Schwerfällig quälte
sie sich ein Lächeln ab. »Ihr könnt gern zurückkommen, hoher Herr, und mich
weitermartern, aber eine Hexe bin ich dennoch nicht und werde es auch niemals
sein.«
Cothmanns Gesicht
veränderte sich. Seine Lippen wurden schmal wie Striche, und um seine
Mundwinkel zuckte es. Er machte eine Geste, die seine Enttäuschung verriet, und
drehte sich abrupt um. Hastig, ohne noch einmal zurückzublicken, folgte er den
Ratsherren.
Als die schwere Tür
lautstark hinter ihm ins Schloss fiel, ging David zurück in die Folterkammer
und holte seinen Instrumentenkoffer. Er lüftete die Felle und besah sich mit
gerunzelten Brauen die Wunden an Marias Beinen. Als ihre Blicke sich trafen,
beugte er sich über sie. Behutsam strichen seine Hände über ihren kahlen Kopf,
über das leichenblasse Gesicht und die blutleeren Lippen. Tief und lange sah er
ihr in die Augen, dann begann es um seine Mundwinkel zu zucken, und sie spürte,
dass ein Sturm in ihm tobte. Mit belegter Zunge und feucht schimmernden Augen
sagte er: »Es gibt kein Verzeihen. Für das alles hier gibt es keine Vergebung.
Der Mensch und Mann in mir ist zu schwach. Er hat gegen den Henker verloren.«
Er machte eine
hilflose Bewegung. Die Schuld erdrückte ihn und hinderte ihn am Weitersprechen.
Maria nahm sein Geständnis wie in einem Traum war. Einem Traum, den sie ein
Leben lang geträumt hatte und der nun zerbrach. Sie prägte sich noch einmal seine
Züge ein, dann drehte sie das Gesicht von ihm fort zur Wand. Eine Geste, die
etwas Unwiderrufliches an sich hatte.
David schluckte und
drückte sein Gesicht in ihre Halsbeuge. Er hielt sie in seinen Armen und deckte
ihre Brüste mit seinen Haaren zu, bis er irgendwann, nach langen, schweigsamen
Minuten, den Kopf hob und die Lippen bewegte. Als er das Gebet murmelte, war
sein Gesicht grau und eingefallen. Mit ihrer Hand in seiner sank er neben der
Bank auf die Knie. Mit klangloser Stimme hörte sie ihn beten: »Herr im Himmel,
verzeih deinem reuigen Diener, aber der Henker von Lemgo sei verdammt bis in
alle Ewigkeit.«
Zwei Tage später
saßen Cordt, Hermann, Anton und der Advokat im frühen Morgengrauen in der Diele
gemeinsam an einem Tisch. Ihre Gesichter wirkten finster und übernächtigt. Vor
dem Kamin stand Margaretha und schürte nachdenklich mit einem Eisenhaken die
Glut im Feuer. Ilsabein hockte zu Catharinas Füßen, die blass und schwer atmend
auf der Bank neben dem Feuer in dicke Felle gewickelt gegen das Fieber
ankämpfte. Ängstlich betrachtete die Tochter Catharinas eingefallene Züge und
achtete auf jedes Röcheln, das sich ihrer Brust entrang. Zu ihrer Sorge um
Maria war die Sorge um die Mutter hinzugekommen. Ab und zu tauschte sie einen
Blick mit Margaretha, die still und bedrückt den Ausführungen des Advokaten
lauschte. Die vergangene Nacht und den vergangenen Tag hatten sie tapfer unter
einem Zelt aus gegerbten Häuten im Schnee vor dem Turm ausgeharrt. Erst als
ihre Glieder vor Nässe und Frost steif gefroren waren, Ilsabein, noch
geschwächt von der überstandenen Verletzung, im Schnee zusammensank und
Catharina es auf der Brust bekam, hatten sie sich entschlossen, in der gut
beheizten Diele weiterzuberatschlagen, wie sie Maria retten konnten.
»Es steht nicht gut
um Eure Tochter, Deche«, murmelte der Advokat mit ernster Miene. Er beugte sich
über einen Stapel Akten und holte tief Luft, bevor er leise, aber mit fester
Stimme verkündete: »Der Richter Hermann Cothmann versucht, mich daran zu
hindern, am Prozesstag Marias Verteidigung zu
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