Der Henker von Lemgo
übernehmen. Grund dafür sind die
Mängel, die ich bis jetzt in der Prozessführung gegen Eure Tochter aufgedeckt
und die ich in einem Gutachten den Rechtsgelehrten der Universität in Rinteln
dargelegt habe. Denn was hinter den Mauern Lemgos zurzeit vor sich geht, ist
nicht rechtens, dafür aber haarsträubend. Die Anklage gegen Maria stützt sich
lediglich auf den schlechten Ruf des Zaubereigerüchtes. Es wurden keine Zeugen
zur Verteidigung herangezogen und die bestehenden Zeugen mit Gewalt unter Druck
gesetzt. So wie in Eurem Fall, Ilsabein.«
Er sah zu der Frau,
die zusammengekauert vor sich hin starrte. Ihr Anblick rührte sein Herz. Die
jüngste Tochter der Rampendahls liebte den Bäcker Henrich Höcker, und er
hoffte, dass ihre Liebe stark genug wäre, vor dem schrecklichen Ungemach dieser
Welt zu bestehen.
»Es stimmt, hoher
Herr«, gestand sie reumütig. »Ich habe mich versündigt und meine Schwester
besagt, obwohl ich ihr doch eigentlich helfen wollte.« Sie verbarg das hübsche
Gesicht vor Scham in den Fellen. »Aber Richter Cothmann hat mir die Worte in
den Mund gelegt und mich aufgefordert zu gestehen, dass mir die Maria das
Zaubern lehren wollte und ich nur mit Mühe und Not ihrem teuflischen Einfluss
widerstanden habe.« Sie weinte. »Er hat mir damit gedroht, mich ebenfalls in
den Hexenturm zu sperren und der peinlichen Befragung zu unterziehen.«
»Dich trifft keine
Schuld, meine Tochter. Es war richtig, wie du dich verhalten hast. Als eine
weitere denunzierte Hexe der Familie Rampendahl hättest du deiner Schwester
eher geschadet als geholfen.« Cordt warf ihr einen versöhnlichen Blick zu, als
er ihre Tränen bemerkte. »Der Richter versucht, euch alle gegeneinander
auszuspielen, um eure Kraft, vor der er sich fürchtet, zu brechen.«
»Das ist wahr«,
pflichtete ihm Hermann bei. »Heute Morgen hat der Richter mich auf das Rathaus
befohlen. Er fragte mich, ob ich mich zu dem Gerücht bekenne, dass bei der
Geburt unserer kleinen Agnes der ›schwarze Kerl‹ vor der Tür gestanden habe.
Außerdem sagte er, ich hätte selbst erzählt, auf meiner Wanderschaft nach
Billinghausen einer schönen Dame begegnet zu sein, aus der heraus zwei Männer
wuchsen, einer davon schwarz und sehr groß. Obendrein warf er mir Hurerei und
den Umgang mit bösen Leuten vor.«
»Dem Hurensohn dreh
ich den Hals rum«, brummte Cordt.
Die Äußerung
entlockte dem Advokaten ein leichtes Schmunzeln. »Wenn es nur so einfach wäre,
Ratsmann. Aber dann hätten wir sicher die gesamte Obrigkeit gegen uns. Noch
können wir uns einiger Freunde sicher sein. Zum Beispiel habe ich hier den
Brief eines Sachsen, ein Kollege, der als fanatischer Hexenjäger bekannt ist.
Selbst dieser gefürchtete Mann steht in diesem Fall auf unserer Seite. Er
stützt sich ebenso wie ich auf die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.,
die ›Carolina‹, und befürwortet prozessrechtliche Garantien für Maria. Auch die
Schreiben zweier namhafter geistlicher Juristen wurden mir von einem Boten
hinterbracht. Beide fordern vom Rat eine milde Behandlung Marias, doch Cothmann
hat sich über alle Instanzen hinweggesetzt. Maria wurde der Seelsorger
vorenthalten, ebenso wie die von mir beantragte Wasserprobe. Wissentlich hat er
es unterlassen, Zeugen wie die Böndel, Stockmeyers Witwe, dessen Sohn und die
Ratsmänner Rullmann, Hancke und Koch auf ihre Redlichkeit hin zu überprüfen.
Stattdessen hat er Maria drei Stunden lang foltern lassen und die Gutachten
darüber erst anschließend den Magistern der Universität Jena vorgelegt.«
Seinen Worten folgte
eine beklemmende Stille. Stumm starrten die sechs Versammelten vor sich hin,
doch innerlich schrien sie vor Schmerz und Unglück. Erst das Blättern des
Advokaten in den Akten holte sie aus ihren Gedanken zurück. Roleman suchte
etwas.
»Wahrscheinlich ist
der Bote der Universität in Rinteln durch den unerwarteten Schneefall
aufgehalten worden«, murmelte er ratlos. »Deshalb habe ich noch keine Antwort
auf mein Gutachten erhalten. Morgen in den Mittagsstunden findet sich der Hohe
Rat schon auf dem Marktplatz ein, um über Maria Gericht zu halten. Euer
Gnadengesuch an den Grafen, Hermann«, über den Brillenrand blickte er auf den
Barbier, der gebannt an seinen Lippen hing, »wurde leider abgelehnt. Allerdings
war das vorauszusehen, schließlich ist der Richter mit dem Grafen befreundet
und steht sehr hoch in seiner Gunst.«
Er nahm einen
Schluck Bier aus dem Krug, um sich die trockenen Lippen zu
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