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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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Körper wie eine riesige Welle,
lief von den Zehen ihre Unterschenkel hinauf und teilte sich auch der letzten,
der kleinsten Faser ihres Leibes mit. Die Knochen des Schienbeins knackten, als
die dolchartigen Dornen wie Mörser arbeiteten. Ganz langsam fraßen sie sich
durch die empfindlichen Knochen. Maria hielt die Luft an. Der Schmerz jagte wie
ein Schauer durch ihren Körper und brach ihr als kalter Schweiß aus allen
Poren. Von weit entfernt vernahm sie die Stimme des Richters: »Fester, David!«
Nach jedem Punkt der Anklage fragte er sie, ob sie bekenne, aber sie schüttelte
hartnäckig den Kopf. Die Lippen hatte sie fest aufeinandergepresst, sodass kein
Laut über ihre blutleeren Lippen drang.
    Cothmann wurde
ungeduldig. Er gab dem Henker das Zeichen, sie von hinten aufzuziehen. Ihre
Beine waren taub vor Schmerz, als David sie aus den Stiefeln hob und ihren
nackten Körper mit den am Rücken zusammengebundenen Händen über eine Winde auf
die Leiter zog. »Halte noch einen Augenblick durch«, flüsterte er mit
zitternder Stimme, »das Gerät wird dich in den Schlaf wiegen und dich von den
Qualen befreien.«
    Neue Schmerzwellen
rasten durch ihren Körper. Die Schmerzen aus der Mitte, wo ihr Körper
auseinandergerissen wurde, trafen auf die Pein, die von den oberen Gelenken aus
ihren Leib erfasste, und vereinigten sich zu einer neuen unbeschreiblichen
Höllenqual. Mit offenem Mund hing Maria in den Seilen. Ihr Kiefer verformte
sich, jeder Gedanke schmerzte. Mit der letzten Kraft, die ihr Körper
aufzubringen vermochte, dachte sie an die vergangene Nacht zurück. Sie musste
sich ablenken, dem Schmerz keinen Zugang zu ihrem Bewusstsein erlauben. Noch
einmal durchlebte sie die Wonnen in Davids Armen, ließ sich von seinen
hemmungslosen Küssen ins Fegefeuer hinabziehen und auf den Schwingen seiner
grenzenlosen Liebe davontragen. Eng umschlungen wälzten sich ihre nassen Körper
auf dem harten Kerkerboden. Seine Leidenschaft raubte ihr den Atem. Seine
Hände, sanft streichelnd und neugierig forschend, brachten ihren glühenden
Körper zum Beben. »Ich liebe dich, Maria«, flüsterte er, während sich ihre
heißen Leiber in Schweiß und unter Tränen zu einem vereinten. Sie spürte seine
kraftvollen Bewegungen in sich, spürte seine Männlichkeit, hörte seine Schreie,
als er sich in ihr ergoss, immer und immer wieder … und wusste, dass sie in
dieser Nacht die Frucht seiner Lenden empfing.
    »Wasser …«
    Sie wollte schreien,
doch ihre Zunge war zu schwer und fiel ihr in den Hals zurück. Sie blickte in
Davids besorgte Augen. Er hielt einen Zuber mit klarem Wasser in den Händen.
Das Tuch lag nicht mehr auf ihren Augen. David benetzte es und betupfte mit ihm
vorsichtig ihre Wangen, die Stirn und den Mund. Wie wohl das tat! Sie wollte
reden, hob den Kopf. Sie brachte keinen Ton hervor. Ihre Bemühungen endeten in
einem Schwall unartikulierter Laute.
    »Das Weib ist immer
noch verstockt und will nicht bekennen«, drang es wie aus weiter Ferne an ihr
Ohr. »Der Satan hat von ihr Besitz ergriffen und hält ihre Zunge, damit sie
nicht reden kann!«
    Sie kannte diese
Augen, diese kalten, tief liegenden Augen, die jetzt in ihrem Gesichtsfeld
erschienen. Cothmann hatte sich über sie gebeugt, sein Blick war gnadenlos.
»Legt Ihr noch einmal die Stiefel an, Meister David!«
    »Neiiin!« Ihr
markerschütternder Schrei endete in einem Röcheln und war zugleich Erlösung.
Mühevoll und unter qualvollen Schmerzen bewegte sie ihre Zunge. »Bitte, Ihr
Herren, ich kann nicht bekennen. Ich bitte um Barmherzigkeit. Gebt mir
Bedenkzeit und quält mich später weiter.«
    »Sieh da, die Hexe
ist schon wieder fähig, spitze Worte zu führen. Ganz offensichtlich ist sie das
beste Beispiel dafür, wie stark und gefährlich der Teufel ist, meine Herren.«
Cothmann hatte sich den Ratsherren zugewandt und blickte mit ungeduldiger Miene
auf die Taschenuhr in seinen Händen. Er fror in dem Gewölbe und sehnte sich
nach den warmen Öfen und den knisternden Kaminen in seinem Haus. Selbst das
Wetter schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Der Himmel schüttete
unerwartet Schnee aus seinen Wolken über die Stadt und deckte die erwachende
Natur mit einer weißen, eiskalten Decke zu.
    Nachdem David ihr
die Füße zum zweiten Mal zerquetscht hatte, zog er sie auf Befehl des Richters
noch drei Mal auf die Leiter. Anfangs wimmerte sie und bat die Herren, doch
barmherzig zu sein, dann erlöste sie eine Ohnmacht nach der anderen von den
Qualen.

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