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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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Seele zu plagen. Trotz des
schonungslosen Rittes hatte die Zeit sie eingeholt. Schuld daran waren die
Unbilden der Natur, gegen die sie seit Stunden ankämpften. Geknickte Äste,
Stürme, Regen und taubeneigroße Hagelkörner hatten sie immer wieder gezwungen,
Umwege zu reiten. Die Angst, dass alle Strapazen umsonst gewesen sein könnten
und sie es vielleicht nicht mehr rechtzeitig zum Prozess schafften, lag schwer
auf Hermanns Brust. Gleichfalls kreisten seine Gedanken ständig um Maria und
den Henker. Würde er es wagen, Hand an sie zu legen? Würde er sie
widerspruchslos töten?
    Die Hufschläge
hallten laut unter dem Bogen des Steintores. Schon von Weitem sah Hermann, der
vorausritt, die riesige Menschenansammlung. Er verlangsamte sein Tempo, bog in
die Gasse ein und zügelte vor einer Einmündung scharf sein Pferd. Das Tier
rutschte auf den schlüpfrigen Steinen aus und bäumte sich mit einem kläglichen
Wiehern auf. Ungeachtet der Schmerzen, die er dem Pferd zufügte, drehte er sich
im Sattel um und gab Anton das Zeichen zum Umkehren. Als sein Bruder gleich
darauf ebenso abrupt neben ihm zum Stehen kam, wies er nach vorn und sagte:
»Wir müssen zurück und durch das Rieper Tor in die Stadt einreiten. Von hier
aus kommen wir weder durch das Ostertor noch das Regenstor an den Marktplatz
heran!«
    »Stimmt, aber
bedenke, dass wir Lemgo dafür fast gänzlich umreiten müssten. Der Umweg würde
uns nochmals Zeit kosten«, antwortete Anton mit regennassem Gesicht.
    Hermann überlegte
kurz, dann griff er Anton in den Zügel. »Du hast recht. Wir reiten durch die
Menge hindurch. Und indem wir laut schreien, dass wir aus Rinteln mit Marias Begnadigung
kommen, verschaffen wir uns Platz.«
    Er schätzte die Lage
vor sich ein. Die Einmündungen vom Rampendahldamm und der Tröger Bauernschaft
schienen bereits verstopft zu sein. Die Menschen hingen teilweise wie Obst in
den Bäumen, belagerten stehend die Mauervorsprünge oder saßen wie Tauben auf
den Dächern. »Die ganze Stadt ist auf den Beinen«, murmelte Hermann. »So etwas
hat es noch nie gegeben.«
    »Ich vermute, sie
kommen diesmal nicht, um sich an der Hinrichtung einer Hexe zu ergötzen,
sondern um dem Richter den Garaus zu machen. Der Menschenauflauf scheint mir
eher das Werk unseres Schwiegervaters zu sein.«
    Erstaunt blickte
Hermann in Antons müdes Gesicht. »Du könntest recht haben. Der Kleidung nach zu
urteilen, stehen in der letzten Reihe die Dechen des Bäckerhandwerks,
Wagenbauer und Schreiner mit ihren Knechten und Lehrjungen. Am besten brechen
wir an dieser Stelle durch. Sie werden uns freudig Platz machen.« Er gab seinem
Pferd die Sporen, hielt es aber gleichfalls mit solcher Gewalt zurück, dass es
sich abermals aufbäumte, und zögerte.
    »Was hast du,
Bruder?« Anton zügelte überrascht sein nervös tänzelndes Tier und sah sich nach
Hermann um. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Eine heftige Böe warf ihn fast
aus dem Sattel.
    Hermann sah den
grauen, dahinjagenden Wolken nach und runzelte nachdenklich die Stirn. »Glaubst
du, dass Gott mit uns reitet und seine Hand schützend über mich und mein
Eheweib hält?«
    »Warum sollte er das
nicht? Schließlich hat er uns bis hierher begleitet und über unser Schicksal
gewacht. Die Magister an den Universitäten Rinteln und Jena hat er ebenfalls
gnädig gestimmt. Dein Eheweib wird leben! Kopf hoch, Hermann, alles wird gut.
Wir müssen nur rechtzeitig auf dem Rathaus sein«, drängte er.
    »Wie aber wird mir
mein Eheweib gegenübertreten? Wird sie mich noch lieben und mit mir unbefleckt
die Schlafstatt teilen können?« Hermann hatte hastig und mit heiserer Stimme
gesprochen.
    »Dahin also gehen
deine Bedenken? Du denkst an den Scharfrichter? Aber Meister David hat dein
Eheweib gefoltert, das ist doch der beste Beweis für ihre Treue zu dir.«
    »Und wenn er ihr
Gewalt angetan hat und seine nach außen hin getragene Gleichgültigkeit nur
gespielt ist?« Hermann dachte an Ilsabeins Verletzung und daran, mit welcher
Glut der Henker ihm damals in die Augen gesehen hatte, als er ihm die Hand
versöhnlich entgegengestreckt hatte. Er war der festen Überzeugung, dass der
Henker Maria liebte. Nur für sie hatte er Ilsabein gerettet.
    Anton richtete sich
im Sattel auf und berührte mit der freien Hand vertrauensvoll Hermanns Arm,
während er die andere am Zügel behielt. »Du wirst doch nicht in diesem Moment
an der Treue deiner Frau zweifeln, wo du ihr gerade das Leben zurückbringst?
Egal, was Meister

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