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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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sie herum, und sie verlor für den Bruchteil einer Sekunde die
Orientierung. Sosehr sie sich auch reckte, die federgeschmückten Barette der
Herren und die ausladenden Hüte der Damen versperrten ihr die Sicht. Einmal
stieß sie sich unsanft an einem Händlerstand, ein anderes Mal stolperte sie
über ein verirrtes Ferkel, das quiekend durch ihre Beine flüchtete. Längst war
sie zur Umkehr bereit.
    »Margaretha, wo bist
du?«, schrie sie, um die Schwester im Gewühl wiederzufinden. Inständig hoffte
sie, dass sie noch an der vereinbarten Stelle ausharrte, und bat Margaretha
innerlich um Verzeihung für ihre Torheit. Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen,
und sie lief wie betäubt weiter, bis sie sich plötzlich den Kopf stieß.
Erschrocken und benommen zugleich bemerkte sie, dass sie vor dem Holzaufbau der
Tribüne stand.
    Der Raum darunter
war hohl. Rasch lebte Marias Verstand wieder auf und riet ihr, dort Schutz zu
suchen, bis das hochnotpeinliche Gericht abgehalten war. Auf Händen und Füßen
kroch sie unter die Tribüne, bis sie erschöpft zwischen zwei wuchtigen
Holzstämmen liegen blieb. Als sie sich stark genug fühlte, um aufzustehen,
erstarrte sie. Ihre Augen sahen geradewegs in die ihres Schulmeisters Hermann
Beschoren. Das Leid in ihnen, sein verändertes Aussehen und der gebeugte Rücken
unter dem Fuß des Knechtes verwirrten sie. Ohne dass sie es hätte verhindern
können, begann sie leise zu weinen.
    »Herr im Himmel«,
schluchzte sie verängstigt, »gütiger Vater, mach, dass der böse Traum aufhört.
Ich habe solche Furcht!« Sie schloss die Augen und bekreuzigte sich. Dann
öffnete sie langsam wieder die Lider in der Hoffnung, dass ihre Bitte erhört
und der Schulmeister und das ganze Spektakel wieder verschwunden waren.
    Doch Beschorens
leerer Blick war noch immer unbeweglich auf sie gerichtet. Er hatte das Mädchen
bemerkt und wagte sich nicht zu rühren, nur die angeschwollene, pochende
Halsschlagader verriet seine Erregung. In diesem Moment ließ der Druck in
seinem Genick nach, und der Fiskal verlas den Artikel der Anklage. Wie durch
einen dichten Schleier nahm Beschoren die Worte wahr. Seine Gedanken weilten
bei Maria und der Furcht, sie könnte von den Knechten entdeckt werden.
    Aber da hatte Maria
sich bereits ein Herz gefasst und schob sich auf den Knien ein paar Zoll auf
ihn zu. »Schulmeister«, hauchte sie zitternd, »lieber Schulmeister, leidet Ihr
große Schmerzen?« Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu berühren und zu
trösten. »Ich werde Gott und auch Meister David bitten, damit Letzterer Euch
nicht wehtut. Der Henker wird mir die Bitte nicht abschlagen und genauso wenig
der Herr meine vielen Gebete, in die ich Euch hundertfach eingeschlossen habe.«
    Ein Sonnenstrahl
glitt über das ausgemergelte Gesicht Beschorens. Der Schulmeister sah so aus,
als lächelte er sanft über das unbescholtene Kind, dessen reine Seele noch an
Wunder glaubte.
    Doch im gleichen
Moment lenkte Johannes Berner seine Aufmerksamkeit auf sich. Er richtete eine
Frage an den Angeklagten: »Habt Ihr, Schulmeister Hermann Beschoren, vernommen,
wessen Ihr und Euer Eheweib auf einhelliges Belieben und rechtlichen Schluss
beider Räte dieser Stadt Lemgo angeklagt seid? Nehmt Ihr das Urteil an? So antwortet
deutlich mit Ja!«
    Nur zu gut erinnerte
Hermann Beschoren sich an die Qualen der Tortur, unter welcher die Anklage
zustande gekommen war. »Lächerlich, der Vorwurf der Zauberei.«
    Genau wie bei all
den anderen Anklagen vor der seinen beruhte sie nur auf Gerüchten und vom Rat
zurechtgelegten Fragen. Nicht der Teufel hatte ihn als seinen Hexenmeister
ausgewählt, sondern der Hohe Rat selbst. Doch jetzt war er mit seiner Seele im
Reinen und wünschte sich nur noch einen schnellen Tod.
    Während er den Blick
noch immer auf Maria gerichtet hielt, beantwortete er geistesabwesend Berners
Frage und hoffte inständig, dass Cordt Rampendahl endlich auftauchen und seine
Tochter von diesem Ort fortbringen würde. »Ja.«
    Nach Berner sprach
der Verteidiger. Er näselte leicht und beendete seine Ausführungen schnell.
    »Das Palavern könnt
Ihr Euch sparen. Es hat sowieso keinen Einfluss mehr auf den Verlauf des
Prozesses«, presste Beschoren kaum hörbar zwischen den Zähnen hervor und
faltete die Hände. Als er Maria in sein Gebet einschloss, hörte er plötzlich
ihre Stimme ganz dicht neben seinem Ohr. Zu Tode erschrocken riss er den Kopf
herum und blickte ihr geradewegs in die verweinten Augen. Er hätte

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